Mitglieder von Genossenschaften haben das große Glück, dass sie bezahlbaren, sicheren Wohnraum haben. Ihre monatliche Zahlung heißt nicht „Miete“, sondern „Nutzungsentgelt“, denn die Genossenschaft gehört ihnen. Sie sind nicht in einem Unterordnungsverhältnis als Mieter*innen ihren Vermietern ausgeliefert, sondern nutzen einen Teil ihres gemeinsamen Eigentums.

Doch in einigen großen Genossenschaften gibt es Unzufriedenheit. So begründen beispielsweise auch Genossenschaften die Erhöhung des Nutzungsentgelts mit dem Mietspiegel. Das widerspricht der Mitgliederförderung, auf die Genossenschaften gesetzlich verpflichtet sind. Sie sollen nicht Gewinne erwirtschaften, sondern ihre Kosten decken – was hat der Mietspiegel damit zu tun?

Unzufriedenheit in großen Genossenschaften

Oft führen Genossenschaften auch Modernisierungen über die Köpfe der Mitglieder hinweg durch und erheben dann Modernisierungszuschläge, so dass manche Mitglieder Angst haben, das nicht mehr bezahlen zu können.

Manchmal reißen auch Genossenschaften preisgünstigen Wohnraum ab, um teuer neu zu bauen. Oft begründen sie es damit, dass es nicht wirtschaftlich sei, die alten Gebäude klimatisch herzurichten. Aber mit Neubauten lassen sich deutlich höhere Nutzungsentgelte erzielen – dafür werden gewachsene Hausgemeinschaften auseinandergerissen und preiswerter Wohnraum vernichtet.

Wenn Mitglieder dann in ihrer Verzweiflung an die Öffentlichkeit gehen, droht ihnen möglicherweise sogar der Ausschluss aus der Genossenschaft, wegen genossenschaftswidrigem Verhalten. Schlimmstenfalls können sie dann als Nichtmitglied auch ihre Wohnung verlieren, wenn die Genossenschaft – wie in der Privatwirtschaft üblich – Eigenbedarf für Mitglieder auf der Warteliste geltend macht.

Genossenschaft

Eine Genossenschaft hat drei Organe: Vorstand, Aufsichtsrat und Generalversammlung der Mitglieder (oder Vertreterversammlung bei großen Genossenschaften).

Die Generalversammlung oder Vertreterversammlung ist das höchste beschlussfassende Organ einer Genossenschaft.

Der Aufsichtsrat soll zwischen den Versammlungen die Interessen der Mitglieder vertreten, indem er den Vorstand in seiner Geschäftsführungstätigkeit überwacht, kontrolliert und auch berät.

Der Vorstand hat laut Genossenschaftsgesetz die Geschäftsführungsbefugnis, ist dabei aber an Gesetz und Satzung gebunden und hat im Interesse der Mitglieder zu handeln und sie zu fördern.

Fehlende Demokratie

Genossenschaften gelten als demokratische Rechtsform, es gilt „ein Mitglied, eine Stimme“. Aber in vielen Genossenschaften kann ein Mitglied gerade mal die Vertreter*innen wählen, und das war’s dann.

Die General- oder Vertreterversammlung wählt den Aufsichtsrat, und dieser bestellt oft den Vorstand, obwohl der auch von den Mitgliedern gewählt werden könnte. Die Versammlung stellt den Jahresabschluss fest und entscheidet über die Gewinnverwendung oder Verlustdeckung sowie über Satzungsänderungen.

Wichtige Entscheidungen trifft der Vorstand, denn nach Paragraf 27 des Genossenschaftsgesetzes hat er „die Genossenschaft in eigener Verantwortung zu leiten“.

Problematische Genossenschaftskultur

Viele Mitglieder wollen einfach in Ruhe wohnen, manche wissen gar nicht, dass sie Mitglied einer demokratischen Organisation sind. Sie haben nur Kontakt mit ihrer Genossenschaft, wenn sie die Nebenkosten- und Dividendenabrechnung bekommen – warum muss eine Genossenschaft Dividenden ausschütten, obwohl sie nicht zur Geldvermehrung da ist?

Auf der General- oder Vertreterversammlung herrscht oft drückende Stille, und wenn doch mal ein Mitglied etwas Kritisches fragt, kann es passieren, dass andere Mitglieder ärgerlich werden, mitunter gibt es fast bedrohlich wirkende Äußerungen vom Podium der Vorstände und Aufsichtsräte. Eine lebendige Gesprächskultur ist sehr selten.

Vorstand und Aufsichtsrat sitzen viel zusammen, gehen gemeinsam essen, fühlen sich miteinander verbunden. Von kritischen Mitgliedern sind sie genervt und machen im Konfliktfall gemeinsam Front gegen die Mitglieder.

Wirtschaftliche Orientierung

Vorstandsmitglieder kommen oft aus der herrschenden Betriebswirtschaft, denn es gibt zu wenig Ausbildungsstätten für genossenschaftliches Wirtschaften. In den Geschäftsberichten heißt es „wir haben gute Gewinne erzielt“ und „wir sind wettbewerbsfähig“ – warum muss eine Wohnungsgenossenschaft wettbewerbsfähig sein?

Hier spielen die Prüfungsverbände eine große Rolle. Im BBU, dem Prüfungsverband der großen Wohnungsgenossenschaften in Berlin und Brandenburg, sind sogar gewinnorientierte Konzerne wie Vonovia Mitglied. Sie machen Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit gegen mitgliederfreundliche Gesetzesänderungen – und in Berlin damals gegen den Mietendeckel und gegen „Deutsche Wohnen & Co enteignen“.

Was tun?

In den Initiativen „Genossenschaft von unten“ und „Die Genossenschafter*innen“ haben sich Mitglieder verschiedener Berliner Wohnungsgenossenschaften zusammengetan, unterstützen sich gegenseitig und vernetzen sich mit sozialen Bewegungen und mit Mietrechtsbewegungen.

Um mehr zu werden, kommt es darauf an, in den Genossenschaften mit Mitgliedern und Vertreter*innen ins Gespräch zu kommen, aber auch mit Aufsichtsrats- und Vorstandsmitgliedern. Im Grunde bräuchte jede Genossenschaft Strukturen für den Austausch – zum Beispiel Treffpunkte und Online-Foren – und Verantwortliche, die sich koordinierend um Verbindlichkeit und Regelmäßigkeit kümmern.

Mehr Infos:
genossenschaft-von-unten.eu
genossenschafter-innen.de

Broschüre: „Selbstverwaltet und solidarisch wohnen – Genossenschaften und ihre Bedeutung für eine gemeinwohlorientierte Wohnungspolitik“, kostenloser Bezug und Download: rosalux.de/publikation/id/44677

Veröffentlichungen von Elisabeth Voß zum Thema Genossenschaften: elisabeth-voss.de/?id=15

Wichtig wäre, die Genossenschaftssatzungen so zu ändern, dass die Mitglieder mehr Mitentscheidungsrechte haben. Zunächst sind allerdings zehn Prozent der Mitglieder nötig, um so eine Satzungsänderung auf die Tagesordnung zu bekommen. Das ist in großen Genossenschaften nahezu unmöglich.

Wenn sich jedoch kritische Mitglieder als Vertreter*innen und in den Aufsichtsrat wählen lassen, und dann viele andere Mitglieder eine Satzungsänderung fordern, könnte es gehen. Dann könnte in der Satzung das Quorum für Mitgliederentscheide herabgesetzt werden.

Der Artikel beruht auf einem Input der Autorin beim „Zweiten alternativen Genossenschaftskongress von unten“ am 15. Februar in Hamburg. Eingeladen hatten die Berliner, Dortmunder und Hamburger Initiativen „Genossenschaft von unten“ mit Unterstützung der Mietervereine. Mitschnitt: youtu.be/bVQOiABvTEo