Die Diakonie ist einige Minuten Fußweg vom Nordbahnhof entfernt, aus der Ferne sehe ich zwei Fahnen mit der Aufschrift „Brot für die Welt“. Saskia Richartz vom Ernährungsrat Berlin hat mich zum Dinnerdate in die Kantine der Diakonie eingeladen.
Der Ernährungsrat ist ein zivilgesellschaftlicher Zusammenschluss von Aktiven, die sich für eine ökologische, klima- und sozial gerechte Ernährungswende im Raum Berlin einsetzen. Morgen, am 21. Februar, findet in der Diakonie eine Fachtagung statt: „Ernährungsarmut überwinden, das Recht auf Nahrung stärken – für eine gerechte und nachhaltige Ernährungspolitik, die alle erreicht“. Heute Abend treffen sich Organisator:innen und Teilnehmende zum Essen und um sich gemeinsam auf die Fachtagung vorzubereiten.
Ofenkartoffeln
Konferenzraum und Kantine sind im Erdgeschoss der Diakonie. Ich lasse meinen Blick durch den Kongressraum schweifen. Gegen halb sieben sind die Teilnehmer:innen eingetroffen, wir gehen in die Kantine. Dort erwartet uns ein einladendes Buffet, drei silberne Terrinen stehen auf den Tischen. Saskia öffnet die Deckel: Das reichhaltige Angebot besteht aus einer Karotten-Ingwer-Suppe und Ofenkartoffeln, gefüllt mit einem Auberginen-Gemüse-Mix, dazu ein cremiger Kräuterquark. Es gibt auch verschiedene Sorten Mehrkornbrötchen. Zum Nachtisch stehen kleine Brownies bereit. Auch Getränke fehlen nicht, es gibt Saft und Wasser.
Ich suche mir einen Platz an einem der Stehtische, wir stellen uns gegenseitig vor und genießen das wohlschmeckende Essen. Von Chefköchin Monique Werminghaus erfahre ich, dass ihre Z-Kantine, die unser Essen zubereitet hat, täglich gesundes Essen mit einem sehr hohen Bio-Anteil zu fairen Preisen anbietet.
Ernährungsarmut
Voll neuer Eindrücke geht es gemeinsam zurück in den Konferenzraum. Saskia erklärt allen den Ablauf des morgigen Tages. Weitere Inputs kommen von Vertreter:innen der Mitorganisatoren der Konferenz: Sarah Luisa Brand vom Deutschen Institut für Menschenrechte und Michael Stiefel von der Diakonie Deutschland. Während es für die Teilnehmer:innen in die Workshop-Runden geht, setzen Saskia und ich uns in eine ruhige Ecke.
162 Staaten, auch Deutschland, haben sich völkerrechtlich verpflichtet, das Menschenrecht auf Nahrung zu gewährleisten. Wenn man über Ernährungsarmut nachdenkt, ist Deutschland nicht unbedingt das erste Land, das einem einfällt.
Saskia erklärt mir: Tatsächlich existiert Ernährungsarmut auch bei uns. Deutschland liegt aktuell sogar auf Platz fünf des Negativ-Rankings in der EU und steht weit schlechter da als Länder wie Polen oder Portugal. Rund 13 Prozent der deutschen Bevölkerung können sich nicht einmal jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit leisten. Betroffen sind hier vor allem Haushalte in Armut.
Kantinen
Neben besseren Sozialleistungen für Güter des täglichen Bedarfs können auch Schulessen und Kantinen die Versorgungslage verbessern. Menschen mit kleinem Geldbeutel bekommen in Kantinen eine günstige und im besten Fall vollwertige und nachhaltig produzierte Mahlzeit, ohne dass sie ihre Bedürftigkeit an der Kasse nachweisen müssen. Das ist gegenüber anderen Notversorgungsstrukturen ein Vorteil, weil es weniger schambehaftet ist.
„Kantine Zukünfte“ ist ein Leuchtturmprojekt, das weit über Berlin hinausstrahlt. Es ist ein Trainingsprogramm, das in Schulen und in den öffentlichen Kantinen von BSR und BVG gesunde, regional produzierte Bio-Mahlzeiten anbietet.
Kantinen können Orte der Begegnung sein. Überall, wo sich Menschen begegnen, trägt das im besten Fall zum Abbau von Vorurteilen bei und hilft ein besseres Verständnis für das Gegenüber zu entwickeln. Gerade in Metropolen wie Berlin, wo Einsamkeit eine Herausforderung darstellt, eine gute Sache.
Kitas, Schulen, Kiez- und Betriebskantinen sind ideale, bereits vorhandene Versorgungsstrukturen, die mit entsprechendem Fachwissen auf einfache Weise nachhaltig und inklusiv verbessert werden können. So kann ein notwendiger gesamtgesellschaftlicher Wandel vorangebracht und Selbstverständliches erreicht werden: für ausnahmslos alle Menschen das Recht auf Nahrung durchzusetzen.
Ernährungsrat
Der Ernährungsrat steht für Inklusion und Teilhabe. Er möchte mehr Sichtbarkeit und politischen Druck von unten erzeugen. Konkret bedeutet das: Städte davon überzeugen, ihre „Ernährungsumgebungen“ fair und nachhaltig zu planen. Denn es ist falsch, unsere Grundversorgung einzig in die Hände von großen Supermarktketten zu geben. In Berlin und auch auf Bundesebene gibt es mittlerweile politische Strategien für eine bessere Ernährung. Allerdings hat die Bundesernährungsstrategie gezielte Maßnahmen, etwa interministerielle Arbeitsgruppen zur Bekämpfung von Ernährungsarmut, auf einen unbestimmten Zeitpunkt vertagt.
Ich möchte von Saskia wissen: Welche politischen Bedingungen für eine bessere Grundversorgung der Menschen bräuchte es in Berlin? Zuallererst müssen wir aufhören, eine gesunde, nachhaltige Ernährung als Privileg zu sehen, sagt Saskia. Sie ist ein Menschenrecht und muss als Teil der staatlichen Daseinsvorsorge geplant und gewährleistet werden. Städte wie Berlin müssen ihre Versorgungsstrukturen regional und dezentral in die Stadt- und Wirtschaftsplanung integrieren.
Saskia schaut auf die Uhr, die Veranstaltung neigt sich dem Ende zu. Sie versammelt die Workshop-Teilnehmer:innen ein letztes Mal. Morgen ist ein wichtiger Tag, dafür brauchen alle eine gesunde Mütze Schlaf. Wir begeben uns auf den Heimweg. Was für ein reichhaltiger und schöner Abend.