Die Solawi-Küfa gibt es seit 2023. Solawi steht für solidarische Landwirtschaft, Küfa heißt Küche für alle. Die Solawi-Küfa ist Teil einer wachsenden regionalen Bewegung von zahlreichen Küfas und Kiezküchen. Sie findet an jedem ersten Freitag im Monat in der Mahalle in Kreuzberg statt, einem selbstorganisierten Kiezladen, an diesem ersten Freitag im neuen Jahr jedoch ausnahmsweise im Spreefeld. Michael hat mich für unser Dinnerdate in die Küfa eingeladen.

Einladend

Der Optionsraum O3 ist einfach zu finden, es ist ein Würfel mit hohen Fenstern, der in der Dunkelheit hell leuchtet. Mir wird geöffnet, alles wirkt sehr einladend mit den langen Holztischen und der offenen Küche. Michael winkt mir zu, er schneidet gerade Gemüse. Während wir die Zutaten vorbereiten, sprechen wir über das Spreefeld. Ich möchte von Michael wissen, wie dieser Ort am Spreeufer zwischen Mitte und Kreuzberg entstanden ist. Das Spreefeld, erzählt Michael, ist ein Pionierprojekt für selbstorganisierte Nachbarschaften, inklusive Wohngenossenschaft und Cohousing. Das Gebiet war einmal Ackerland, dann wurde es als Industrieareal genutzt und später war es Teil des damaligen Grenzgebiets Ost-Berlins.

Nach dem Mauerfall zog das Spreeufer zunächst Leute aus der Clubkultur und Besetzer:innen an – und Jahre später internationale Investor:innen. Lokale stadtpolitische Aktivist:innen leisteten Widerstand gegen die exklusive Entwicklung an der Spree. Auf der Suche nach alternativen Entwicklungsmöglichkeiten setzte sich die private Spreefeld-Initiative das Ziel, an diesem Ort vielfältige Wohn-, Arbeits- und Gartenformen mit öffentlich zugänglichen Flächen zu ermöglichen.

Seit 2011 ist das Gelände Teil eines Sanierungsgebiets, das durch Reurbanisierung und durch einen direkten Zugang zur Spree geprägt ist.

Nutzungsmischung

Ich stelle mir dieses Projekt ausgesprochen exklusiv vor. Wer wohnt hier? Wer kann sich das leisten? Ist das eine neue Form von Gated Community? Das will ich von Michael wissen.

Michael lacht. „Ganz im Gegenteil!“ Mit dem Spreefeld sei eine neue Nachbarschaft mit abwechslungsreicher Nutzungsmischung entstanden. Er zählt auf: Gemeinwohlorientierungs-Ansätze zeigen sich hier anhand vielfältiger Gemeinschaftsflächen, unterschiedlicher Aktivitäten wie Werkstätten, Kita, Gärtnern und Feiern und durch die Wohngemeinschaften, die sich als selbstverwaltete Teilprojekte verstehen. Die großen Optionsräume stehen der Öffentlichkeit günstig für temporäre Nutzungen zur Verfügung, Coworking-Spaces stellen eine zusätzliche Verbindung nach außen dar. Das Spreefeld kooperiert zudem mit zahlreichen Nachbar:innen wie der informellen Siedlung Teepeeland nebenan.

Risotto

Während wir uns unterhalten, bereiten wir das Essen vor. Es gibt saisonales und Lagergemüse: Kürbis, Pastinaken, Möhren, Weißkohl, Rote Beete, Schwarzen Rettich und Yacón-Knollen. Das Gemüse wird gewürfelt, geraspelt oder in feine Streifen geschnitten.

Ich entdecke auf den Tischen Weißwein, hole mir ein Glas und setze mich an eine der langen Tafeln. Michael setzt sich zu mir. Es ist schon halb neun, heute Abend dauert es länger, denn wir kochen zwei Risottos, das braucht Zeit. In der Küche wird in großen Töpfen fleißig gerührt. Auf den Tischen stehen Schüsseln mit Pastinakenchips aus dem Ofen als Vorspeise. Sie sind knusprig und noch warm.

Wie bei Oma

Bevor wir anfangen zu essen, steht Sebastian, einer der Organisatoren, auf und stellt uns das komplette Menü vor: Möhrensalat mit Weißkohl und gemahlenen Senfkörnern, Ofengemüse, Sellerierisotto mit einem Kapern-Zitrone-Minze-Topping, Kürbisrisotto mit Rote-Beete-Topping, dazu Joghurtdips mit Knoblauch, einmal als vegane Variante. Applaus von und für die Köch:innen.

Es ist wie bei Oma, denke ich, es wird verkocht, was saisonal auf dem Acker ist. Ich lasse es mir schmecken, alles ist unfassbar frisch und lecker.

Ich nehme Nachschlag. Bezahlt wird in die Kasse des Vertrauens, die direkt am Buffet steht. Jede:r gibt, was er oder sie kann. Es gibt keine Preisempfehlung.

Porträtaufnahme von Michael LaFond

Mein Dinnerdate-Gastgeber

Michael LaFond ist ein multidisziplinärer Freiberufler, der an den Schnittstellen von Gemeinwohl und kollektivem Eigentum arbeitet. Seine Projekte gehen von der Theorie und Praxis der Sozialökologie aus und legen den Schwerpunkt auf Dialog und Selbstorganisation. Seit 2024 wohnt Michael in der Spree-WG am Spreefeld. Sein Institut für kreative Nachhaltigkeit ist ebenfalls am Spreefeld zu Hause. Er engagiert sich in den angrenzenden Spreeacker-Gärten sowie im Solawi-Kochteam.

Selbstorganisiert

Solidarische Landwirtschaft, heißt es, ist kein Luxus, sondern eine echte Alternative zur herkömmlichen Landwirtschaft. Ich möchte von Michael wissen, warum.

Solawis können sehr unterschiedlich organisiert sein, sagt Michael. „Seine“ Solawi Waldgarten sieht so aus: Bauer Frank Wesemann hat einen Bio-Hof in Barenthin in der Prignitz. Dort baut er mit seinem Team vor allem Gemüse und Obst an. Auf dem Hof werden Gärtner:innen ausgebildet und FÖJ-Plätze für Jugendliche angeboten. Einmal wöchentlich bekommen die Städter:innen in Berlin und Potsdam die frische Ernte an die Abholstellen geliefert. Auch über getrocknete Kräuter, Säfte, Eingekochtes und Fermentiertes können sie sich immer wieder freuen. Neben dem Monatsbeitrag werden vier Arbeitseinsätze pro Jahr und Ernteanteil gewünscht.

Die Solawi basiert auch auf dem Prinzip der Selbstorganisation. Geliefert wird die Ernte an selbstverwaltete Abholstellen in den Städten, etwa in Nachbarschaftscafés. In einer Solawi ist die Landwirtschaft vom Markt entkoppelt und die Lebensmittel werden in einem eigenen Wirtschaftskreislauf produziert. So entsteht eine regionale Produktionskette.

Weite

Langsam ist es an der Zeit, aufzuräumen und zu spülen. Das ist schnell erledigt, wenn so viele helfende Hände da sind.

Ich mache mich auf den Heimweg, zu meiner Rechten die Spree, auf der anderen Seite die bunten Lichter des Holzmarkts. Der Ausblick ist an dieser Stelle so weit, eine S-Bahn fährt hell erleuchtet vorbei, sie sieht aus wie eine Modellbahn. Für einen kurzen Moment stellt sich bei mir das Gefühl ein, nicht in Berlin zu sein. Vielen Dank!