Etwas abgelegen vom Zentrum der französischen Stadt Le Havre, an der Mündung der Seine in den Atlantik, erstreckt sich auf 2.400 Quadratmetern – davon gut die Hälfte Außenfläche – der „Hangar Zéro“. Es ist kein Schiffs- oder Flugzeughangar, sondern ein soziales und ökologisches Projekt, das 2016 das Licht der Welt erblickte. Damals besetzte eine Gruppe die frühere Hafen-Lagerhalle für Holz und Kakaosäcke und gründete einen genossenschaftlich organisierten Verein, um „neue Wege des Produzierens, Teilens und Schaffens“ auszuprobieren.
Heute ist der Hangar Zéro – neben dem nach ökologischen Kriterien gestalteten Viertel Clos Val Soleil – ein Vorzeigeprojekt von Le Havre. Auf der einen Seite findet man hier am Quai de la Saône noch die Spuren der einstigen Industriekultur in Form der alten Backsteingebäude. Eine Gedenktafel erinnert an den libertären Gewerkschafter Jules Durand (1880-1926). Auf der anderen Seite weist der Hangar Zéro mit seiner ökologischen und sozialen Ausrichtung in die Zukunft und spiegelt den Wandel und die Erneuerung der Stadt wider.
Bei einer Ausschreibung für die Nutzung des Geländes erhielt der Genossenschaftsverein den Zuschlag für das jetzige Projekt. Der Verein mit seinen rund 600 Mitgliedern startete mit einem – sehr empfehlenswerten – Restaurant und einer kleinen Boutique. Beides existiert noch heute, hat aber mittlerweile Gesellschaft von anderen Projekten, darunter ein Fotoatelier, mietbare Coworking-Plätze, Versammlungsräume für Vereine und Firmen sowie das Urban-Gardening-Projekt „Aquaponia“, von dem das Restaurant auch direkt Lebensmittel bezieht. Dabei ist das Projekt weit davon entfernt, in eine ökokapitalistische Ecke abzudriften.
Viel ehrenamtliche Arbeit
Bei der Gestaltung der Räume arbeitet der Verein mit örtlichen Künstler:innen zusammen, die die Wände individuell gestalten und dabei mit rein ökologisch hergestellten Farben und Materialien arbeiten. Die Wände der Räume bestehen aus ausrangierten Schiffscontainern. Das wirkt auch wie eine Hommage an Le Havre, die als zweitgrößte Hafenstadt Frankreichs eng mit der Schifffahrt verbunden ist, und verleiht dem Projekt einen ganz speziellen Charme.
Besonderer Stolz sind allerdings die hauseigenen Holz- und Metallwerkstätten, in denen nicht nur für den Hangar Zéro gearbeitet, sondern auch für externe Kundschaft produziert wird, um das Projekt querzufinanzieren. Hergestellt werden etwa Holzzäune, Insektenhotels oder die Gartenmöbel, die sich auch im Außenbereich finden.
Das Projekt selbst finanziert sich durch vereinzelte öffentliche Zuschüsse und Mieteinnahmen – sei es für einzelne Veranstaltungen, auch von Firmen, oder für regelmäßige Nutzung durch Gruppen, Künstler:innen und Projekte. Daneben wird viel ehrenamtliche Arbeit in den Auf- und Ausbau des Projekts gesteckt.
Wer über das Gelände läuft, sieht überall Menschen unterschiedlichen Alters fleißig werkeln. Sie rühren Isolationsmasse an, stellen Dämmplatten aus ausrangierten Säcken und der angerührten Masse her oder verputzen Wände. Mehrere neue Veranstaltungsräume stehen kurz vor der Fertigstellung, aber auch acht Jahre nach Projektbeginn ist noch viel zu tun.
Saisonale Küche
Der ökologische Gedanke durchzieht das gesamte Projekt, wie einige Beispiele verdeutlichen. So hat das Restaurant stets saisonale Küche mit Produkten aus der Region. Jeden Tag werden zwei Menüs angeboten, eines davon vegetarisch. An einem Tag in der Woche gibt es nur vegetarische Speisen. Nicht verwendete Lebensmittel aus dem Restaurant werden an die Freiwilligen und die wenigen Praktikant:innen verteilt, um die Lebensmittelverschwendung zu reduzieren.
Beim Auf- und Ausbau der Räume wird darauf geachtet, möglichst viele Baumaterialien zu recyceln oder selbst ökologisch herzustellen. Zum Beispiel wird der Mörtel zum Verputzen der Wände mit vorhandenen Erden angemischt. Laut Projektdarstellung kann dadurch bis zur Hälfte der Rohstoffe beim Bau eingespart werden.
Es findet eine Vielzahl von Workshops und Kursen statt, die sich um Themen wie Upcycling und Ökologie drehen. Regelmäßig kommen dazu auch Gruppen aus den umliegenden Schulen. Die Räume eignen sich sehr gut für Projektarbeit und ökologische Sensibilisierung. Auch diverse Ökogruppen nutzen die Räume und bieten hier immer wieder Veranstaltungen an – von Initiativen gegen das Kreuzfahrtschiff-Unwesen bis zur örtlichen Extinction-Rebellion-Gruppe.
Keine weltfremden Spinner
Bei Anfragen zu den Räumlichkeiten zeigt sich das Projekt sehr offen. Immer wieder wird betont, niemand ausschließen zu wollen – auch wenn die Aktiven sich natürlich wünschen, dass die Gruppen und Firmen, die die Räume zum Beispiel für Meetings nutzen, die generellen Werte des Projekts teilen.
Umgekehrt heißt das auch, dass der Ort nicht den viel geschmähten linken Szenemief atmet, den vergleichbare Projekte in Deutschland teilweise noch haben. Hier treffen sehr viele unterschiedliche Menschen aufeinander, tauschen sich aus und lernen sich bei gemeinsamen Projekten kennen. Das kann auch eines der hier veranstalteten Konzerte sein.
Ein Blick in den Veranstaltungskalender des Hangar Zéro macht den Umfang des Projekts erst richtig klar. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass irgendetwas stattfindet. Mal spielt eine Punkband im Restaurant, mal findet im Rahmen einer Woche für Ältere ein Bücherflohmarkt statt, eine Ausstellung zu Gesichtern der Klimagerechtigkeitsbewegung wird gezeigt und zwischendurch ist eine Schulklasse zu Besuch. Es gibt auch viele ökologisch ausgerichtete Workshops zu Themen wie Upcycling oder Repair-Cafés.
Gerade erst kam wieder eine Förderzusage für zwei Jahre von der Stadt Le Havre. Wenn man bedenkt, dass der aktuelle Bürgermeister einer rechtsliberalen Partei angehört, unterstreicht das die große Bedeutung des Hangar Zéro für die Stadt. Es ist ein Projekt, in dem Ökologie, Bildung und Kultur eine Symbiose eingehen und gezeigt wird, dass es möglich ist, ressourcenschonend einen solchen Ort zu schaffen und zu betreiben.
Damit könnte der Hangar Zéro eine Leuchtturmfunktion für andere Städte und Projekte in Frankreich bekommen. Es ist aber auch ein Hoffnungsschimmer und Zeichen für den ökologischen Wandel einer einstigen Industriestadt – und auch ein Beispiel, wie ein ökologisches Projekt seinen Platz in einer Stadtgesellschaft findet, ohne als weltfremde Spinnerei abgetan zu werden.

