Deutschland ist nach seinem politischen Selbstverständnis eine Republik. Das Wort „Republik“ kommt von lateinisch „res publica“, was wörtlich „öffentliche Sache“ oder „öffentliche Angelegenheit“ bedeutet. Das „Öffentliche“ ist das, was uns alle angeht und – im Idealfall – uns allen gehört. Der öffentliche Raum ist der Teil des Landes, der im besten Fall von engagierten Bürgerinnen und Bürgern als Ort der Begegnung und des Austausches reklamiert wird, im schlechtesten Fall denselben Bürgern als Müllablagefläche und der Privatwirtschaft als Werbefeld dient.
Die Berliner Fenster
Auch die U-Bahnen sind Teil des öffentlichen Raumes. Sie sind ein Verkehrsmittel in öffentlichem Eigentum, das allen Menschen offensteht. Das gilt sogar da, wo alles immer ein bisschen anders ist: in Berlin.
Die Fahrzeit in der öffentlichen U-Bahn vertreiben sich die Berliner, indem sie mürrisch auf ihre Sitznachbarn oder auf ihr Handy starren. Sollte beides gerade nicht so interessant sein, bleibt der Blick auf die als „Berliner Fenster“ bekannten Bildschirme, die, neben dem Halteplan, im Wechsel für Veranstaltungen oder Bücher werben und über die aktuelle Nachrichtenlage informieren. Betrieben werden sie von der „Berliner Fenster GmbH“, die zur Vermarktungsgesellschaft MC R&D (mcrud) gehört, dem deutschen Marktführer im Bereich „Fahrgast-Fernsehen“. Das Sendenetz der Gesellschaft umfasst neben Berlin auch München, Stuttgart, Leipzig, Dresden, Chemnitz und Bremen.
Nach eigener Darstellung informiert MC R&D täglich 20 Stunden lang die Berliner Fahrgäste mit „aktuellen News, Kultur und Werbung“ auf insgesamt 3200 Bildschirmen in 992 U-Bahnwagen. Damit werden „mehr als zwei Millionen Fahrgäste am Tag erreicht“.
Im Griff der Springer-Presse
Für den Nachrichtenteil sorgen „BZ“ und „Die Welt“, zwei Medien, die für ihren objektiven und gemeinwohlorientierten Journalismus bekannt sind (ein erfahrener Kollege wies den Autor darauf hin, dass man in journalistischen Texten Ironie als solche kennzeichnen muss). In München sind es immerhin der (öffentlich-rechtliche) Bayerische Rundfunk und die (linksliberale) Süddeutsche Zeitung, die die Informationen liefern. Die Berliner Fahrgäste werden dagegen 20 Stunden am Tag zu 100 Prozent mit Nachrichten aus dem Hause Axel Springer versorgt.
Da Springer unter Linken traditionell keinen guten Ruf hat, hat der revolutionäre SPD-Kreisverband Steglitz-Zehlendorf unlängst einen Antrag gestellt, in welchem er die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und die Berliner Fenster GmbH dazu auffordert, ihren Vertrag mit dem Axel-Springer-Verlag zu beenden. Zustimmung kam aus Kreisen der Berliner Linken und der Grünen, die sich vielleicht auch noch nostalgisch an das alte Feindbild erinnern.
Selbst wenn man kein linker Kampfgenosse ist, muss man sich fragen, wie ausgewogen die Berichterstattung im öffentlichen Raum ist, wenn sie allein von einem einzigen Medienhaus verantwortet wird. „Aber“, wird der liberale Zeitgenosse sogleich einwenden, „das ist doch nicht verboten, schließlich gibt es ja auch das Privatfernsehen.“ Das stimmt, aber laut Rundfunkstaatsvertrag haben auch private Sender einen gesellschaftlichen Auftrag. Auch die Privaten sind vertraglich verpflichtet, qualitativ hochwertige, ausgewogene Nachrichten anzubieten. Außerdem kann man, wenn einem das Programm nicht gefällt, den Privatsender ausschalten, diese Möglichkeit haben die U-Bahn-Fahrgäste nicht.
Wäre es also nicht wünschenswert, wenn BVG und Berliner Fenster GmbH wenigstens ab und zu mal Nachrichten aus einem anderen Medium präsentieren würden? Welche Zeitung käme da infrage? Am besten wäre natürlich ein politisch unabhängiges Medium, das sich ohne finanzielle Absichten oder Abhängigkeiten für öffentliche Interessen einsetzt. Es müsste demokratisch und offen für Mitarbeit sein. Im Zentrum könnten vielleicht jene Klima- und Umweltfragen stehen, die uns – unabhängig von Parteipräferenzen – alle etwas angehen. Am besten wäre ein Medium, das in Berlin so etwas wie eine anerkannte Institution ist.
Liebe Leserinnen und Leser des Raben Ralf, fällt Ihnen vielleicht so ein Medium ein? Uns schon.
Bescheiden dazwischen
Wir fordern: Rabe Ralf ins Berliner Fenster! Angesichts der Dringlichkeit, sich den gesamten öffentlichen Raum demokratisch zurückzuerobern, ist diese Forderung bescheiden. Viele werden sich erinnern: Um ihrem Auftrag nach „inhaltlicher Ausgewogenheit“ nachzukommen, haben die privaten Fernsehsender die anspruchsvolleren Kulturformate immer spätnachts gezeigt. So durfte der atemlose Alexander Kluge mit „dctp.tv“ gegen Mitternacht auf Sat 1 (oder war es RTL?) zwischen Pornohotlinewerbeblöcken mit erlesenen Gästen über Richard Wagner und Karl Marx parlieren.
Wie wäre also folgender Kompromiss: Ab 23 Uhr, wenn in der Berliner U-Bahn sowieso nur noch betrunkene Berufspartygänger und verwirrte Touristen unterwegs sind, darf der Rabe Ralf unentgeltlich für ein paar Stunden – natürlich im Wechsel mit der finanzstarken Konkurrenz von Welt und BZ – gemeinwohlorientierte Inhalte senden.
Wäre das nicht ein kleiner und machbarer Schritt im täglichen Kampf um unsere demokratische Öffentlichkeit? Und nebenbei würde es der BVG, die uns zwar allerorts versichert, dass sie uns liebt, aber trotzdem von den meisten Fahrgästen beschimpft wird, echte Sympathiepunkte einbringen.
Liebe Leserinnen, liebe Leser, bei aller Satire ist es uns mit dem Vorschlag wirklich ernst. Wenn Sie uns dabei helfen wollen, unsere Kampagne (etwa durch Unterschriftensammlungen, Plakatgestaltung usw.) voranzubringen, melden Sie sich gerne: