„Was einmal gedacht wird, kann nicht mehr zurückgenommen werden“, lautet ein Zitat aus Friedrich Dürrenmatts Stück „Die Physiker“. Dort heißt es aber auch: „Was alle angeht, können nur alle lösen.“
Kritisch gefragt
Zugegeben, dieses Thema ist unangenehm, und die Corona-Laborthese steht auf dünnem Eis. Zu viel wurde in den letzten Jahren seit Ausbruch des Sars-Cov-2-Virus „geschwurbelt“, und häufig wurde auch fachliche Kritik einfach diskreditiert. Verdächtigungen gegenüber China müssen in diesen Zeiten des ökonomischen Aufstiegs des Landes und der deshalb drohenden Kriegsgefahren immer kritisch hinterfragt werden. Zu präsent ist noch die Erinnerung an die vorgeschobenen Gründe im Krieg für Öl gegen den Irak 2003. Die Begründungen für den Irakkrieg, insbesondere die Chemiewaffen-Behauptung, wurden später als falsch oder unbewiesen entlarvt. Dazu kommen noch die Macht und das massive finanzielle Interesse der Pharmaindustrie und der Gentech-Lobby, die einen massiven Vertrauensverlust fürchten müssen, wenn der Laborverdacht sich bestätigen würde.
Technikkatastrophe ...
Welche Technikkatastrophe war die schlimmste der Menschheitsgeschichte? In der Fachliteratur und in der Wikipedia werden das Unglück von Bhopal, das Ozonloch und die Atomkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima als schwerste menschengemachte Katastrophen – neben den Kriegen – genannt. Erstaunlicherweise fehlen in solchen Listen die menschen- und technikgemachten Dauerkatastrophen wie Asbest-Vergiftung und die Klimakatastrophe. Es fehlt aber auch die von Menschen verursachte Covid-19-Katastrophe mit ihren mehr als sieben Millionen Toten.
Tatsächlich ist der genaue Ursprung des Coronavirus noch immer ungeklärt. Doch die Covid-19-Laborunfallhypothese erhält immer mehr Zulauf. Auch die US-Regierung schließt sich dieser Theorie an. Das hat, siehe Irakkrieg, erst mal wenig zu sagen. Der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) hält es für wahrscheinlich, dass ein Laborunfall im chinesischen Wuhan die Ursache der weltweiten Corona-Pandemie gewesen ist. Die Laborthese wurde laut den Berichten vom BND mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 bis 95 Prozent bewertet. Auch der ehemalige Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, hält die Laborthese mit dem aktuellen Wissensstand für wahrscheinlicher als seine bisherigen Annahmen.
... oder „natürliche“ Ursache?
Eine zweite These, wonach das Virus – wie auch schon das der Sars-Epidemie von 2002/2003 – einen „natürlichen Ursprung“ hatte (Rabe Ralf Juni 2020, S. 6), wurde demnach für weniger wahrscheinlich gehalten. Wobei auch der „natürliche“ Ursprung durch Wildtiernutzung menschengemacht wäre. Die These vom Wildtier-Ursprung von Corona ist bei der Pharmaindustrie verständlicherweise sehr beliebt.
Die Wahrscheinlichkeit, dass das Coronavirus aus einem chinesischen Labor kommt, ist also zumindest hoch. Weltweit starben bisher mehr als sieben Millionen Menschen an dem Virus – die Dunkelziffer ist mit großer Wahrscheinlichkeit deutlich höher. Dazu kommen schwere Dauererkrankungen und unglaubliche ökonomische Schäden.
Wenn die Laborthese zutrifft, dann wäre die Corona-Pandemie die bisher schwerste medizinische Forschungs-Katastrophe der Menschheitsgeschichte. Sie wäre auch ein technisches Scheitern und eine Kränkung des Fortschrittsglaubens, ähnlich wie der Untergang der unsinkbaren Titanic, der Contergan-Skandal oder die Reaktorkatastrophen in Tschernobyl und Fukushima.
Immer wieder Laborunfälle
Hinter diesem kurzen Text steckt erst einmal kein Vorwurf gegen China. In medizinischen Forschungsinstituten und biochemischen Laboratorien kam es weltweit in der Vergangenheit schon zu unglaublichen und gefährlichen Zwischenfällen. Selbst in Hochsicherheitslaboren mit strengsten Sicherheitsmaßnahmen können nicht alle Risiken ausgeschlossen werden, wie einige Beispiele zeigen.
In den 1960er und 1970er Jahren führten mehrere Laborfreisetzungen von Pockenviren in Großbritannien zu Infektionen und Todesfällen.
1987 konnte ein gefährlicher Erreger aus einem australischen Labor entweichen. Einer Laborantin platzte ein Gefäß mit dem Newcastle-Virus. Obwohl sie alle Sicherheitsvorkehrungen eingehalten hatte, gelangte es über ihre Augenbindehaut in den Körper. Glücklicherweise führte die Infektion nur zu einer Bindehautentzündung – für den Menschen ist das Newcastle-Virus weitgehend ungefährlich, für manche Tiere jedoch tödlich.
1995 gab es einen großen Ausbruch der Venezolanischen Pferdeenzephalitis in Venezuela und Kolumbien mit Zehntausenden Infizierten und über 300 Todesfällen. Genetische Untersuchungen deuteten darauf hin, dass das Virus aus einem Labor entkommen war.
2004 kam es im Nationalen Institut für Virologie in Peking zu einem Sars-Ausbruch. Zwei Studenten infizierten sich bei Experimenten mit dem Virus. Insgesamt neun Menschen erkrankten, einer starb. Es war der dritte von vier laborbedingten Sars-Ausbrüchen.
2007 wurde der Erreger der Maul- und Klauenseuche aus einem Hochsicherheitslabor in Großbritannien freigesetzt. Baufahrzeuge verbreiteten das Virus, was zur Keulung von über 1.500 Tieren führte.
Neue Ausbrüche verhindern
Wie passiert so etwas in Hochsicherheitslaboren? Es ist erstaunlich und erschreckend, dass diese zentrale Frage in der veröffentlichten Debatte bisher nur eine Nebenrolle spielt. Die aktuelle Diskussion dreht sich um Vorwürfe gegen China. Kritische Fragen nach dem Risikopotenzial von Hochsicherheitslaboren passen offenbar nicht in die Zeit einer weltweit großen, unkritischen Technikgläubigkeit und Wachstumsreligion. Die Forschung hat die Pocken ausgerottet und die moderne Forschung hat das Potenzial, sieben Millionen Menschen zu töten und noch größere Katastrophen auszulösen. In diesem Spannungsfeld stehen wir.
Wie lassen sich künftige Ausbrüche und noch größere Katastrophen verhindern? Wie lässt sich Sicherheit steigern und wo gibt es Forschungsbereiche, die auch bei uns besser reguliert werden müssen? Gibt es ethische Grenzen von Forschung und wo liegen sie? Diese Fragen müssen von der kritischen Wissenschaft und der Umweltbewegung gestellt und öffentlich diskutiert werden. Die aktuelle Nichtdebatte ist erschreckend und gefährlich.
Ein kleiner Trost: Der medizinischen Forschung haben wir es zu verdanken, dass erfreulich schnell ein Impfstoff für Covid-19 entwickelt wurde. Eventuell hat die medizinische Forschung mitgeholfen, ein Problem zu entschärfen, das durch die medizinische Forschung geschaffen wurde.