Heilige Bräuche, die keiner verraten, verletzen, erforschen darf: denn heilige Scheu vor den Göttern bindet die Stimme. Selig, wer von den irdischen Menschen je sie gesehen! Wer aber unteilhaftig der Weihen, der findet ein andres Schicksal, wenn er weilt im dumpfigen Dunkel.“ So berichtet ein antiker Dichter – vielleicht Homer selbst – über die Mysterien von Eleusis.

Jeden Frühherbst versammelten sich Massen von Menschen in Athen, um in feierlicher Prozession ans Meer zu ziehen und an einem Ritus teilzunehmen, der uns bis heute Rätsel aufgibt. Was genau während der Feier der Erntegöttin Demeter und ihrer Tochter Persephone passierte, weiß keiner. Tatsächlich hat nie jemand die heiligen Bräuche verraten. Die Teilnehmer sprachen nur sehr allgemein von einer lebensverändernden Erfahrung.

Der Kult hielt über tausend Jahre und wurde erst vom christlichen Kaiser Theodosius verboten, das Heiligtum selbst durch die Goten im Jahr 400 nach Christus zerstört.

Kasse im Wunderland

Die Boxhagener Straße liegt mitten in Berlin-Friedrichshain, dem Stadtteil der arrivierten Alternativen und vermarkteten Utopien. Hier tummeln sich Altpunks und Migranten, Touristen und Start-upper. Ein Markt der Kontrapunkte mit einem Soundtrack, in dem Revolutionshymnen in Werbejingles übergehen.

Das Haus Nummer 72 liegt direkt an einer Tram- und Bushaltestelle, unmittelbar neben einer Bio-Company-Filiale. Wer hineinwill, muss auf einen Buzzer drücken, erst dann öffnet sich eine elektronisch gesicherte Tür. Der Innenbereich hat den Charme einer modernen Zahnarztpraxis oder eines Privatinstituts für Haartransplantationsforschung. Auf einem Tresen erkennt man bunte Döschen und einfarbige Pillen. Dahinter steht eine freundliche, leicht zerfahren wirkende Verkäuferin, die zwischen Elfe und der Grinsekatze aus Alice im Wunderland changiert. Das könnte auch am hier feilgebotenen Produkt liegen: Bei den Pillen handelt es sich um 1S-LSD, ein Derivat des psychoaktiven Lysergsäurediethylamids. Das Produkt kann hier legal gekauft werden, Kreditkarte wird auch genommen. Nicht umsonst heißt der Laden „LSD-legal.de“.

Der andere Derivatehandel

Wie kann das sein? LSD ist in Deutschland verboten, oder, wie es im Betäubungsmittelgesetz heißt: „ein nicht verkehrsfähiges Betäubungsmittel“. Der Umgang mit der Substanz ist ohne Erlaubnis strafbar. Warum darf sie also in einem Laden in Friedrichshain verkauft werden, ohne dass gleich eine Hundertschaft einrückt?

LSD steht für Lysergsäurediethylamid.

Grafik: Nadirsh/​Wikimedia Commons

Daniel „Dan“ Becker ist der Geschäftsführer der Cofana GmbH, die Website und Laden betreibt. Er hat an der Fachhochschule der Wirtschaft in Paderborn studiert und sieht gar nicht aus wie ein Hippie, allenfalls wie einer aus dem Silicon Valley. Das Konzept seines Ladens ist denkbar einfach: LSD ist zwar verboten, aber LSD-Derivate, bei denen, vereinfacht gesagt, Molekülgruppen an das Original-LSD angehängt werden, sind es nicht. Zumindest sind es die jeweils neuesten Derivate nicht, denn sobald eins auf dem Markt auftaucht, braucht es lange, bis der Gesetzgeber es als solches erfasst. Und wenn dieses dann auch verboten wird, taucht aus irgendeinem Labor ein neues auf. Ein ewiges Katz-und-Maus-Spiel.

Da die Kombinationsmöglichkeiten der Moleküle schier unendlich sind, kann das Spiel ad infinitum weitergehen. Für Dan Becker ein profitables Geschäft, denn vor allem im experimentierfreudigen Berlin ist die Nachfrage groß. In seinen Interviews macht Becker unverblümt deutlich, dass es ihm zwar auch irgendwie um Bewusstseinsveränderung geht, aber vor allem um Profit.

 Trippende Banker

Auch Robert Gordon Wasson war ein Freund des Kapitalismus. Der Amerikaner arbeitete als Banker für J.P. Morgan. In seiner zweiten Lebenshälfte wurde er (teilweise mit finanzieller Hilfe der CIA) zu einem versierten Ethnobotaniker und Ethnomykologen. Sein Schwerpunkt waren die psychoaktiven Pilze, auch als Zauberpilze bekannt. Das führte ihn zu Albert Hofmann, dem Schweizer Chemiker, der im Auftrag des Pharmaunternehmens Sandoz 1938 zum ersten Mal LSD herstellte, indem er Derivate aus dem Getreidepilz Mutterkorn synthetisierte. Wasson und Hofmann, beide überzeugte Vertreter der teilnehmenden Beobachtung und Verächter des „Don't get high on your own supply“, veröffentlichten 1978 das Buch „Der Weg nach Eleusis“. Ihre These: Die Besucher der antiken Mysterien bekamen einen Trank, der psychoaktive Alkaloide eines Pilzes enthielt.

Mit den Hippies, zu denen Wasson und Hofmann ein ambivalentes Verhältnis hatten, wurde LSD zur Massenware. Timothy Leary trug als Oberguru zur Demokratisierung der Substanz bei. Für Wasson und Hofmann waren Psychedelika aber keine Partydrogen, sondern quasireligiöse Sakramente. Sie träumten von einer Wiedergeburt der Eleusinischen Mysterien.

Die Substanzen sollten dabei helfen, die verlorene Natureinheit wiederherzustellen. Zurück ins Paradies – mit der Gnade der Biochemie.

Ähnlich sah es Aldous Huxley, der nicht nur einen berühmten dystopischen Roman geschrieben hat, sondern mit „Die Pforten der Wahrnehmung“ auch das wohl beste Buch über die psychedelische Erfahrung. Noch auf dem Sterbebett ließ sich der Engländer LSD verabreichen.

Mit dem Verbot der Substanz im Jahr 1965 kam auch das Ende der wissenschaftlichen LSD-Forschung. Diese hatte etwa in der Psychotherapie zu erstaunlichen Ergebnissen geführt. Statt „Turn on, tune in, drop out“ beherrschte nun der „War on Drugs“ die öffentliche Meinung. Nie belegte Geschichten über Horrortrips, bei denen massenhaft Konsumenten aus dem Fenster sprangen oder sich gegenseitig abschlachteten, machten die Runde. Die intensiven Farben des psychedelischen Zeitalters verblassten. Alles wurde zigarettengrau und man roch wieder anständig nach Alkohol.

Späte Flashbacks

Natürlich konnten Verbote nicht verhindern, dass im Untergrund weiter mit LSD experimentiert wurde. Auch psychotherapeutische Versuche wurden, zuerst heimlich, dann wieder offiziell weitergeführt. Seit den 2000er Jahren ist das sogenannte „Microdosing“ populär. Hierbei nimmt man eine minimale Menge der Substanz ein, so minimal, dass sich keine halluzinogenen Effekte einstellen und nicht am Schleier der Wirklichkeit gerührt wird. Yuppies und Kreative schwören drauf, dass Microdosing ihren Geist anregt und sie besser funktionieren lässt. LSD als besserer Morgenkaffee?

Ayelet Waldman hat ein Buch über ihre Erfahrung mit „Microdosing“ geschrieben. Die in Kalifornien lebende Schriftstellerin legt glaubhaft dar, wie ihr die Substanz bei Eheproblemen und Depressionen geholfen hat (auch wenn man bei der Lektüre den Eindruck gewinnt, dass ihr Narzissmus unangetastet blieb).

Im Gegensatz zum (legalen) Alkohol und zum (nun halblegalen) Marihuana führt LSD immerhin nicht dazu, dass man zum lallenden Sexisten oder zum gehirnverlangsamten Dauerbreitling wird. Man kann nicht ignorieren, dass die Substanz vielen Konsumenten nachhaltig geholfen hat. In einer Gesellschaft, die täglich psychische Erkrankungen und Sinnkrisen produziert, kann uns vielleicht nur noch ein Molekül retten.

Auch abseits der Labore und Praxen wäre also Aufklärung angebracht. Aber wer soll aufklären? Der Staat? Die Mysterien von Eleusis waren so etwas wie eine Staatsreligion. Huxley und andere dachten eher an einen neuen Berufsstand: philosophisch und religiös ausgebildete „Tripbegleiter“. Begleiter, keine Gurus! In der momentanen Situation lässt man die Konsumenten aber lieber mit Geschäftemachern, Sektenführern und der Transzendenz allein.

Zum Schluss eine ausdrückliche Warnung: LSD und verwandte Substanzen sind nicht harmlos. Sie sind überaus mächtig. Den einen treiben sie in die Seligkeit, den anderen ins „dumpfige Dunkel“. Darin liegt ihre Gefahr – und ihr Potenzial.