Ich habe mehr als 1600 Follower bei Instagram oder Insta, wie wir Medien-Profis sagen, aber eigentlich haben wir das Kürzel von unseren Kindern übernommen. Allein wäre da keiner von uns draufgekommen. Viel zu viel Ehrfurcht haben wir. Als meine Mutter mit 80 Jahren lernte, wie sie E-Mails verschicken und empfangen kann, und sehr zögerlich war, sagte ich ihr irgendwann, sie könne, egal was sie da mache, das Internet nicht kaputtmachen. Hat geholfen. Also 1600, das ist fast nichts. Sie können mir natürlich folgen, wenn Sie da auch rummachen, dann werden es bestimmt doppelt so viele. Ist dann aber noch immer fast nichts. Es gibt berühmte Menschen und es ist wirklich egal, was die machen, die müssen eben nur berühmt sein, die brauchen nur ein Ausrufezeichen zu posten und Zehntausende verbringen den Tag damit, herauszufinden, was da los ist. Selbstmorddrohung oder ist heute einfach nur ein besonders beschissener Tag? Ist ein Kind unterwegs? Hat die Sonnenkerndiät angeschlagen? Sieht die kleine Insel im Karibischen Meer einfach unglaublich aus? Oder ist es die plötzliche Erkenntnis, dass der Mensch einfach kein gutes Lebewesen ist? Aber was sind schon gute Lebewesen und kommen Sie mir jetzt nicht mit Bienen. Die müssen eh schon viel zu viel aushalten. Ihr kleiner Körper wird ständig als große Projektionsfläche benutzt. Keine Biene, glauben Sie mir bitte, wirklich keine Biene möchte das. Ich habe also 1600 Follower, was ja doch eine ganze Menge ist, denn würden die plötzlich alle vor dem Haus, in dem ich wohne, stehen, weil sie mit mir persönlich ein bisschen plaudern wollen, nein, keine gute Vorstellung. Vielleicht sollte ich dazu übergehen, mein Essen zu fotografieren und das Foto zu posten, dann könnte ich zum Beispiel darunterschreiben: „Hallo, meine Lieben, eigentlich ernähre ich mich vegetarisch, aber als ich hier vorbeikam, hat mir diese räudige Currywurst zugezwinkert und ich habe sie extra-scharf bestellt, damit ich sie nicht schmecken muss. Probiert das auch mal aus und habt einen schönen Tag!“ Oder neulich im Prater-Biergarten, als sich mein Freund M. recht zügig einen Broiler – und dieses Verb, nur dieses Verb trifft es – reingefahren hat und anschließend sehr zufrieden aussah und sagte: „Manchmal muss ich einfach richtig gut broilern!“ Da kannste ja gar nicht mehr anknüpfen, das ist auf so vielen Ebenen völlig daneben. Das arme Huhn, das Gutfinden von Massentierhaltung und damit einhergehend das Niederknien vor dem Kapitalismus und dann auch noch die Verharmlosung von all dem durch die Verwendung des neugeschaffenen, niedlichen Verbes „broilern“. Aber Spaß machts trotzdem. Tiktok und solche Sachen überlassen wir natürlich den nachrückenden Generationen, damit sie auch etwas für sich ganz allein haben. Alles andere gehört uns ja schon oder wir gehören ihnen. Wenn Sie jetzt ein Raunen in sich verspüren – vergessen Sie es! Ich meinte nur unsere Daten und damit auch unser komplettes Verhalten und wie sich die wohlsituierte Menschheit für jeden Blödsinn begeistern kann. Das ist Kapitalismus, langweilig wird es nie. Und wenn Sie tatsächlich ein Raunen in sich verspürten, liegt es an Ihnen und nicht an den Juden. Sie erinnern sich bitte an die letzte Kolumne: Sie werden nicht an die Redaktion schreiben! Ich traf zufällig eine alte Klassenkameradin auf der Straße, die als Deutsch-Lehrerin arbeitet und erzählte, dass sie keine Hausaufgaben mehr aufgeben würde, weil sie keine Lust mehr hätte, schwachsinnige und fehlerhafte Texte, die von ChatGPT formuliert worden sind, zu lesen und dann auch noch zu korrigieren, denn sie habe wirklich Besseres zu tun, als eine künstliche Intelligenz zu korrigieren. An dieser Stelle kann ich Ihnen hoch und heilig und ernsthaft versichern, dass an dieser Stelle alles hand- und kopfgemacht ist. Ich habe ChatGPT erst ein einziges Mal genutzt – auf Drängen meiner Tochter, die eine Hausaufgabe für die Schule vergessen hatte und es war schon 22 Uhr. Was dabei herauskam, war der letzte Husten, ein bisschen so, als wäre die Sendung mit der Maus mit der Volksmusikparade, falls es sowas überhaupt gibt, aber Sie wissen schon, was ich meine, kurzgeschlossen worden. Das entsteht eben, wenn Menschen, die zu faul zum Denken sind, ein System füttern. Ich erklärte ihr, warum das der falsche Weg sei und sie müsse dann eben etwas früher aufstehen, kurz nachdenken und sicherlich bräuchte sie nur 15 Minuten. Sie schrieb es in fünf Minuten. Natürlich können Sie jetzt denken, ja klar, ist doch logisch, ich, der ich hier schreibe, hätte eben besser und präziser erfragen sollen, was ich wollte, dann hätte ich schon die richtige Antwort und somit die Hausaufgabe meiner Tochter bekommen. Vielleicht, vielleicht nicht, sei's drum. Das ganze Internet ist voll mit irgendwelchen DIY-Tipps, jeder baut seinen eigenen Schrank, aber Nachdenken ist zu kompliziert. Ganz am Anfang dachte ich noch, dass ich rechtzeitig abbiegen muss, damit hier kein kulturpessimistischer Text eines Fünfzigjährigen entsteht, in dem sich alle, wirklich alle wohlfühlen können, die Helmut Kohl und Erich Honecker noch die Hand geben konnten. Und was überhaupt hat Instagram mit meinem Biomüll zu tun? Also erst mal ist es natürlich so, dass alles, wirklich alles, so lang ich das will, mit meinem Biomüll in Verbindung steht. Aber als ich gestern auf dem Wochenmarkt ein Kilo Kirschen gekauft hatte und zu Hause, als wäre weiter hinten ein Bürgerkrieg entstanden und das einzige Nahrungsmittel waren diese Kirschen, darüber herfiel und dann die Kerne und Stiele, die ich in der einen Handfläche sammelte, in den Müll werfen wollte, sah ich das unsauber gefaltete Stück Zeitung, das wir als Verstärkung des Tütenbodens hineinlegen, damit es nicht durchsuppt, an einer Seite emporragen und las die Überschrift „Ältere Menschen auf Instagram – Falten für den Feed“. Da ich erst wenige Stunden zuvor in den Spiegel gesehen hatte, noch etwas derangiert von einer unruhigen Nacht, und eine neue Falte an meiner Wange entdeckt und leise gestöhnt hatte, fühlte ich mich angesprochen. Das ist schon alles.

Tiktok und solche Sachen überlassen wir natürlich den nachrückenden Generationen, damit sie auch etwas für sich ganz allein haben. Alles andere gehört uns ja schon oder wir gehören ihnen. Wenn Sie jetzt ein Raunen in sich verspüren – vergessen Sie es!