In wohl keinem akademischen Feld gibt es so viele Anarcho-Professoren wie in der Anthropologie. Woran liegt das? Vor allem daran, dass man – wenn man wirklich Feldforschung betreibt und kein „armchair anthropologist“ ist – mit eigenen Augen sieht, dass ein Leben ohne Staat möglich ist. Früher war das sogar die Regel, denn die Menschheit kam in ihrer Geschichte bisher am längsten ohne Leviathan aus. Daran hat auch James C. Scott immer wieder erinnert. Er ist 2024 gestorben.

Früher war alles besser

Scott studierte in seiner Heimat USA, in Burma und in Frankreich Politik und Ökonomie. Um 1990 hielt er sich in Deutschland auf. In seinem Buch „Applaus dem Anarchismus“ erzählt er nebenbei, wie er die ökonomische Übernahme des Ostens durch den Westen wahrgenommen hat.

In seinen bekannteren Werken beschäftigt er sich mit bäuerlichen Kulturen, die Strategien entwickeln, um sich dem Zugriff dominanter Staaten zu entziehen. Sein Hauptwerk trägt den Titel „Die Mühlen der Zivilisation“ und beschreibt, wie wir Menschen durch die Sesshaftwerdung unfrei wurden. Überspitzt formuliert: Vom Acker führt ein direkter Weg in den Faschismus. Die Idee ist nicht neu. Auch Scotts Kollege David Graeber hat sie vertreten. Der Unterschied: Scott war bescheidener und konnte besser schreiben.

Schafe scheren

Ethnologen haben das Glück, immer wieder mitzuerleben, dass sich die Menschen nicht an ihre Theorien halten. Auch Scott, der eine 18 Hektar große Farm besaß, war kein wirklichkeitsblinder Theoretiker: „Wenn ich auf etwas wirklich stolz bin“, sagte er einmal, „dann darauf, dass ich weiß, wie man ein Schaf schert. Dadurch wurde ich zu einem besseren Wissenschaftler.“ James C. Scott starb am 19. Juli 2024 im Alter von 87 Jahren.