„Friedhöfe sind nicht nur Orte des Gedenkens für die Hinterbliebenen, sondern auch wichtig als innerstädtische Grünflächen für die stille Erholung, als Kaltluftentstehungsgebiete sowie als Naturoasen. Sie sind sowohl von kulturhistorischem als auch von naturschutzfachlichem Wert.“ So hieß es schon vor 20 Jahren im sogenannten „Friedhofsgutachten“ zur Entwicklung stillgelegter Friedhofsflächen in Berlin.
Geändert hat sich daran bis heute nichts – im Gegenteil: In einer immer dichter bebauten Stadt kann die Bedeutung von großen Grünflächen mit altem Baumbestand gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Stadtplanung für den Bezirk Tempelhof-Schöneberg sieht jedoch anders aus.
Stille Oase vor dem Aus
Der Dreifaltigkeitsfriedhof III in der Eisenacher Straße in Mariendorf besteht seit über 125 Jahren und bietet unweit der großen Verkehrsachsen B96 und Stadtautobahn einen einzigartigen grünen Rückzugsort für Mensch und Natur. Hier zieht eines von 50 Berliner Mäusebussardpaaren seine Jungen auf, zahlreiche Spechte nutzen die Nisthöhlen in den uralten Bäumen, in der Dämmerung singen die Nachtigallen und flattern die Fledermäuse. Auch für viele ruhesuchende Spaziergänger stellt das Friedhofsgelände einen wichtigen Ort der Stille und Erholung dar.
Doch nun droht dieser grünen Oase die Zerstörung, da zwar nicht die Grabflächen, wohl aber die aufgelassenen Teile des Geländes – auf denen sich in den letzten Jahrzehnten eine wilde Natur mit einer unglaublich vielfältigen Flora entwickelt hat – einem großen Wohnungsbauprojekt geopfert werden sollen.
Autofriedhof bleibt
Zwar steht außer Frage, dass in Berlin Wohnraum benötigt wird und auch Tempelhof-Schöneberg hier vor großen Herausforderungen steht. Aber diejenigen, die in den neuen Wohnungen wohnen sollen, brauchen auch ein Stadtklima, in dem man leben kann. Die große Grünfläche des Friedhofs reguliert Temperatur und Feuchtigkeit, speichert CO2 und mindert Staub- und Lärmbelastung. Wem das zu theoretisch erscheint, der möge einfach mal an einem heißen Tag in die Kühle der Lindenallee des Dreifaltigkeitsfriedhofs eintauchen und tief durchatmen.
Doch von einer nachhaltigen Stadtentwicklung, die den Wert von Grünflächen berücksichtigt, kann in Mariendorf keine Rede sein. So ist bereits vor Kurzem östlich des Friedhofsgeländes eine Kleingartenanlage komplett einem geplanten Schulneubau zum Opfer gefallen – kein einziger der alten Bäume auf dem Gelände wurde erhalten.
Gleichzeitig bleiben komplett versiegelte Flächen wie die angrenzenden riesigen Gebrauchtwagenlager an der Ullsteinstraße unangetastet. Andere Grundstücke in der Nähe wurden in letzter Zeit flächenfressend mit einstöckigen Supermärkten und Parkplätzen bebaut, ohne dass dabei eine einzige Wohnung entstanden wäre.
Gefahr für Schulkinder
Ja, Berlin braucht Wohnungen, doch das auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof geplante Projekt mit dem Bebauungsplan 7‑85 VE geht in seiner derzeitigen Form an den aktuellen Herausforderungen unserer Zeit vorbei. Geopfert würde der wertvolle Naturraum für ein Bauvorhaben mit 70 Prozent hochpreisigen und lediglich 30 Prozent mietpreisgebundenen Wohnungen. Für die 50 geförderten mietpreisgebundenen Wohnungen lässt sich im Bezirk mit Sicherheit eine Alternative finden, ohne wertvolle Biotope und unversiegelte Ruheflächen zu zerstören.
Ein weiteres ganz erhebliches Problem haben die Planer offensichtlich ignoriert: Die vorgesehene Zufahrt zu den Wohnungen und zu einer geplanten Kita auf dem Friedhofsgelände führt über die Sackgasse im Steinhellenweg. Auch der komplette Bauverkehr müsste über dieses Sträßchen geführt werden, in dem gerade mal ein Fahrrad und ein Auto aneinander vorbei passen und das jetzt schon jeden Morgen komplett überlastet ist.
Das Sträßchen bildet den Schulweg für die Kinder der Schätzelberg-Grundschule im Wolfsburger Weg und zukünftig auch für die Schüler und Schülerinnen der daneben im Bau befindlichen sechszügigen Sekundarschule. So droht nicht nur ein Verkehrskollaps im Kiez, sondern auch eine erhebliche Gefährdung der Kinder durch Baufahrzeuge und späteren Anwohnerverkehr.
Einwohnerantrag: Jede Unterschrift zählt
Die Anwohner wollen die Zerstörung des Lebensraums Friedhof nicht hinnehmen. Deshalb haben sie sich zur „Bürgerinitiative Mariendorf-Nord für Naturerhalt“ zusammengeschlossen und setzen sich für eine nachhaltige Stadtentwicklung in ihrem Kiez und den Erhalt des Dreifaltigkeitsfriedhofs III ein.
Unterstützt werden sie dabei von der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz, besonders von den Landesverbänden des BUND und des NABU. Von der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) fordern sie eine grundlegende Überarbeitung des B-Plans 7-85 VE. Dem Investor soll eine ökologisch weniger wertvolle Fläche mit ausreichender Verkehrserschließung angeboten werden. Bisher ist der Vorschlag jedoch auf viele taube oder nicht zuständige Ohren gestoßen.
Um dem Anliegen Nachdruck zu verleihen, will die Bürgerinitiative nun den Weg eines Einwohnerantrags gehen. Wenn mindestens 1000 Unterschriften von in Tempelhof-Schöneberg gemeldeten Personen ab 16 Jahren zusammenkommen, muss die BVV über den Antrag beraten und die Initiative anhören.