Tadzio Müller hat ein Buch geschrieben, das nicht sehr seitenmächtig, dafür jedoch umso inhaltsmächtiger ist. Die 300 Seiten kämen den Rezeptionsgewohnheiten in der Aufmerksamkeitsjäger-Gesellschaft eigentlich entgegen, wäre da nicht die unglaubliche inhaltliche Dichte, die das Buch vom ersten bis zum letzten Satz durchzieht. Inhaltsdichte ist gemeinhin außerhalb von akademischem Publikum kein besonders gutes Werbeargument.

Selten habe ich ein politisches Buch mit mehr Enthusiasmus gelesen. Das liegt vor allem an dem erfrischenden Stil, dem inhaltlichen Aufbau und – man mag es bei dem Thema kaum glauben – an der humoristischen Direktheit, mit der Müller ausspricht, was sonst in distanzierte Formulierungsschrauben verpackt wird, damit es sich nicht so fies anfühlt.

Befreiende Ehrlichkeit

Das ist mit einem kleinen Zitat aus dem ersten Kapitel schön zu belegen: „Ich verstehe, dass sehr, sehr viele auf diese Dunkelheit, auf diese Ängste, auf diese drohende und zugleich zwingende Zukunft völlig nachvollziehbarerweise mit zunehmendem Rückzug aus der medialen Welt reagieren. Weil sich diese Scheiße jeden Tag reinzuziehen erstens meist total unproduktiv ist (es sei denn, ihr habt wie ich Doomern zum Business-Modell erkoren 😉), und zweitens, nun ja: halt dunkel ist, sich scheiße anfühlt, und wer will sich schon die ganze Zeit scheiße fühlen.“

Hier wird auch klar: Da schreibt sich einer von der Seele, was ihn selbst zutiefst betrifft. Und das mit einem messerscharf analytischen Talent. Müller kommt nicht, wie bei Politikwissenschaftlern bisweilen üblich, vom Katheder herunter, oder, wie in letzter Zeit antiintellektuelle Rechtspopulisten so gerne schwadronieren, aus dem Panoramafenster seines Elfenbeinturms. Hier schreibt ein Mensch, der sein bisheriges Leben dem Kampf gegen den Klimakollaps gewidmet hat und nun mit befreiender Ehrlichkeit feststellt, dass dieser Kollaps aktuell stattfindet.

Das Erstaunlichste ist jedoch, dass das Buch nicht in der Beschreibung aller möglichen Dystopien steckenbleibt, dass es authentisch erlebte Angst und Depression, Trauer und Zorn sichtbar macht und am Ende doch in einen konstruktiven Vorschlag mündet. Und dieser Vorschlag hat es, auf mehrfache Weise, in sich. Eine davon: Er macht Mut!

Gesellschaft der Verdrängung

Im ersten Kapitel geht es um einen der erstaunlichsten und zugleich erschreckendsten Vorgänge, die ich in meinem politisch bewussten Leben bisher beobachtet habe. Es beschreibt brillant, wie die Gesellschaft den offensichtlichen Klimakollaps ignoriert und verdrängt.

Im zweiten wirft Müller einen analytischen Blick auf die Klimabewegung. Das Besondere: Es ist der Blick eines „in der Wolle Beteiligten“. Hier wird die Geschichte der Klimabewegung und ihres Scheiterns aus der Perspektive eines aktiven „Täters“ beschrieben. Müllers Analyse trifft dabei mitten ins Schwarze, ohne die üblichen Externalisierungsargumente von Bewegungsveteranen zu bemühen, die letztlich ihre eigene Vita beschützen möchten.

In Kapitel drei befasst sich der Autor mit seiner eigenen Wortschöpfung, dem „assholocene“ und dessen Rolle in der voranschreitenden Faschisierung, speziell der deutschen Gesellschaft. Hier behandelt Müller die zunehmende Verrohung und stellt den Zusammenhang zum Verdrängungsprozess her.

Hoffnung trotz düsterer Aussichten

In Kapitel vier kommt es zu einer Überraschung. Nämlich dazu, was denn jetzt noch zu tun sei, bei all dem Scheitern. Hier wird aber nicht gespoilert. Im letzten Kapitel schildert Müller, wiederum packend, weil offensichtlich authentisch, wie er trotz der düsteren Aussichten Hoffnung und Handlungsfähigkeit bewahrt und wiedergefunden hat und – was er sich von seinen Leser:innen trotz alledem wünscht.

Das Buch ist eine Mischung aus persönlichem Tagebuch, Zukunftsratgeber und politischer Analyse. Es zeigt eine realistische und dennoch hoffnungsvolle Perspektive auf die Zukunft der Klimagerechtigkeitsbewegung und ihrer Rolle für einen „Kampf im Kollaps“, der sich lohnt. Unbedingt lesen!

Rezension zu:

Autor
Tadzio Müller
Titel
Zwischen friedlicher Sabotage und Kollaps
Unteritel
Wie ich lernte, die Zukunft wieder zu lieben
Verlag
Mandelbaum Verlag, Wien 2024
Seiten, Preis
316 Seiten, 20 Euro
ISBN
978-3-99136-512-9