Der jetzt schon fast vergessene Finanzminister Christian Lindner pflegte den Grünen eine „Bullerbü-Ideologie“ zu unterstellen. Statt Astrid Lindgrens Bücher könnte sich die Partei aber auch die Kindersendung „Löwenzahn“ mit Peter Lustig zum Leitbild nehmen. Die Figur hat als politischer Kommunikator absoluten Vorbildcharakter. Vor allem in den Folgen, in denen es Lustig mit seinem bornierten Nachbarn zu tun hat.

Bitte abschalten

Peter Lustig ist ganzen Generationen ein Begriff. Der schrullige Latzhosenträger aus dem Bauwagen erreicht noch heute viele Kinder und schenkt den Eltern nostalgische Erinnerungen. Sein „Löwenzahn“ war eine maximal entschleunigte Fernsehsendung, in welcher der Gastgeber seine Zuschauer am Ende sogar zum Abschalten aufforderte. So etwas wäre heute auch im Öffentlich-Rechtlichen nicht mehr möglich.

Die seit 1979 laufende Sendereihe war vor allem in ihren Anfängen durch die Alternativkultur und Ökobewegung geprägt. Lustig ist eine Art Aussteiger, ein Späthippie. Aber ohne Esoterik und Zeigefinger. Er ist Utopist und Pragmatiker, Empiriker und Künstler.

Lustigs Nachbar Hermann Paschulke ist so ziemlich das Gegenteil. Gespielt wird er vom wohlstandsbeleibten Helmut Krauss. Dieser hat, kleiner Fun-Fact am Rande, auch die Audioversion der „Satanischen Bibel“ eingesprochen.

Lob des Paschulke

Paschulke ist ein unverbesserlicher Spießer, ein Kleinbürger aus dem vulgärmarxistischen Lehrbuch. Borniert, überheblich und selbstherrlich. Wenn er (was er dauernd tut) zu seinem Nachbarn aufs verwilderte Grundstück kommt, dann um zu belehren oder zu maßregeln.

Aber Paschulke ist – und das ist das Entscheidende – Argumenten zugänglich. Er ist immer bereit, sein Gartenzwergweltbild mit der Wirklichkeit abzugleichen. Anders gesagt: Paschulke ist ein Demokrat, er wählt sicherlich CDU, aber nicht AfD. Die Sendung stammt eben noch aus der „guten alten Zeit“.

Wenn Lustig Paschulke etwa mit einem einfachen Experiment auf Lanzarote beweist, dass die Erde, je tiefer man gräbt, immer heißer wird, dann lässt sich Paschulke überzeugen. Das geht nur, weil er kein Verschwörungsgläubiger ist, der wissenschaftliche Fakten für „Fake News“ hält. Paschulke hat sich aus seiner Unmündigkeit kein Kettenhemd gemacht. Er hat vielleicht nicht viel Verstand, aber doch den Mut, sich des Wenigen, was er davon hat, zu bedienen. Der Klimawandel ist für ihn kein Betrug der globalistischen Eliten und – wieder nebenbei – den Tanz, den er mit Lustig in der erwähnten Folge auf einem Vulkan vollführt, kann man durchaus als Sympathiebekundung für den Christopher Street Day interpretieren.

Kein Klugscheißer

Paschulke lässt sich wohl deshalb so oft überzeugen, weil Lustig kein arroganter Klugscheißer ist. Dieser macht sich nie über seinen Nachbarn lustig, sondern bleibt immer freundlich und geduldig. Die naiven Behauptungen seines Gegenübers nimmt er als Anregungen und als Auftrag, um nach den Fakten und Hintergründen zu fragen.

Lustig äußert sich nicht offen politisch. Vielleicht würde das nur zu Streit führen. Er predigt nicht, er fordert nicht einmal. Bestimmt ist er auch für „Tax the Rich“, aber seinem Nachbarn will er gewiss nicht das Einfamilienhaus wegnehmen.

Lustig wirkt als Vorbild, als Anpacker. Er fängt immer bei sich an. In seinem Bauwagen finden keine narzisstischen Selbstfindungskurse oder Gruppentherapien statt, er ist ein „Reallabor“ (im Sinne von Niko Paech) fürs Weiterdenken und -kommen.

Anfangen, beginnen, vorangehen, „durch Absonderung zur Gemeinschaft“ – wenn Lustig jemandem folgt, dann vielleicht dem undogmatischen Gustav Landauer. Der war auch so ein Idealist mit Wirklichkeitssinn.

Klasse Mampf statt Klassenkampf

Eine populistische, linksökologische Bewegung kann nicht von akademischen Minderheiten aus der ideologischen Tiny-House-Blase getragen werden. Sie muss eine Politik betreiben, die die vielgeschmähten Kleinbürger à la Paschulke anspricht und ihnen zugutekommt. Hier kann man mehr von Proudhon als von Marx lernen, mehr von Peter Lustig als von angeblich linken Verbalextremisten.

Eine der besten Löwenzahn-Folgen ist die zum Thema Kartoffel. Lustig und Paschulke nehmen beide an einem Wettbewerb teil, um Kartoffelkönig zu werden. Die Nachbarn verwickeln sich in einen knallharten Konkurrenzkampf. Während der Streber Lustig erst mal zur Kulturgeschichte der Knolle forscht, versucht Paschulke sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Die Situation droht zu eskalieren.

Doch als Paschulke gerade zum Wettbewerb gehen will, lockt ihn der Duft von Lustigs Kartoffelkochkünsten zum Bauwagen. Beide essen im Garten und vergessen den Wettbewerb. Der linke Öko und der konservative Kleinbürger verweigern sich dem kapitalistischen Rattenrennen und chillen zusammen in der Sonne. Gibt es ein schöneres Hoffnungsbild für die Zukunft?