Als ich beim Veteranentagsprotest im Juli Bertha von Suttners Schilderungen der grausam leidenden verwundeten Soldaten vorgelesen habe (Rabe Ralf August 2025, S. 18), dachte ich: Müsste das nicht jeden Tag irgendwo laut und deutlich öffentlich gesagt werden? Um die Menschen wachzurütteln, sie mit dem nahezu Unvorstellbaren zu konfrontieren und ihnen klarzumachen, was Krieg bedeutet, was er mit Körpern anrichtet, um Widerspruch und Widerstand gegen die Kriegsvorbereitungen hervorzurufen.

Aber ich frage mich auch, ob das überhaupt irgendwen erreichen würde, ob es irgendeine Reaktion hervorriefe. Wer lässt sich noch von über 100 Jahre alten Schilderungen erschrecken, wo es doch täglich live und in Farbe Berichte und Bilder vom Zerstören und Töten, von Leidenden und Verhungernden gibt – nicht „nur“ von Soldaten, sondern von Zivilist*innen, vor allem von Frauen und Kindern –, ohne dass irgendetwas daraus folgt?

„Die Welt ist verrückt geworden“

Beim Nato-Gipfel im Juni kamen herrschende Machthaber zusammen und verabredeten ein beispielloses Aufrüstungsprojekt. Nur Spanien versuchte sich zu widersetzen. In den kommenden Jahren werden die Rüstungsmilliarden in den Sozialsystemen aller Mitgliedsstaaten fehlen. Die Hälfte des bundesdeutschen Haushalts soll zukünftig in die Kriegsvorbereitung gehen – die zu erwartenden Aufträge lassen die Aktien der Rüstungsindustrie steigen.

Mit einem geheimen „Operationsplan Deutschland“ wollen Regierung und Bundeswehr das Land darauf vorbereiten, zum Nato-Aufmarschgebiet und damit zum Schlachtfeld eines großen Krieges zu werden. Klimakatastrophe, Verlust der Biodiversität und rasante Zunahme sozialer Ungleichheit scheinen keine Themen zu sein, um die zu kümmern es sich lohnen würde. „Die Welt ist verrückt geworden und der Wahnsinn regiert“, stellte Jürgen Tallig in der letzten Ausgabe zutreffend fest (Rabe Ralf Juni 2025, S. 18).

Die Rechtsstaatlichkeit als Grundlage einer Demokratie wird mit Füßen getreten: Das Friedensgebot des Grundgesetzes wird täglich missachtet; vor einem Jahr wurde eine nichtbinäre Antifaschist*in an Ungarn ausgeliefert, obwohl das Verfassungsgericht dies untersagte; rechtswidrig werden Asylsuchende an den deutschen Grenzen zurückgewiesen; Aufnahmezusagen für gefährdete Menschen aus Afghanistan werden nicht erfüllt; die Waffenlieferungen an Israel gehen weiter, trotz allem. Warum gibt es keinen massenhaften Aufschrei, weder Verweigerung und Generalstreik noch Widerstand?

Weltweit regiert zunehmend das Recht des Stärkeren, wenn autoritäre Staatslenker, gemeinsam mit Rüstungsindustrie und Tech-Milliardären, Ressourcen rauben, Länder bombardieren und alle Lebensbereiche der digitalen Kontrolle unterwerfen. Es ist die patriarchale Anmaßung der einen, wenigen, über Leben und Tod der anderen, vielen, zu entscheiden. Dabei gehen Militarisierung und Digitalisierung Hand in Hand (Rabe Ralf Dezember 2024, S. 29).

Bei einer Kundgebung unweit des Reichstagsgebäudes in Berlin wird ein Transparent hochgehalten: Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt – Rheinmetall entwaffnen.

Kundgebung am 18. März vor dem Reichstagsgebäude

Foto: Elisabeth Voss

Technologische Entmenschlichung

Der Digital-Pionier Joseph Weizenbaum (1923-2008), der wesentlich zur Entwicklung der sogenannten „künstlichen Intelligenz“ (KI) beigetragen hat, sah die Digitalisierung zunehmend kritisch. So stellte er fest, der Computer sei „im Krieg geboren“ und sei „zuallererst ein Instrument, das für militärische Zwecke eingesetzt wird“.

Im Interview mit dem Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen sagte Weizenbaum schon vor Jahrzehnten über die KI: „Mir scheint hier nicht nur der Wahn, Gott zu spielen, sondern auch der Neid auf die Frauen und ihre Fähigkeit, Kinder zu gebären, als ein treibendes Motiv. Was hier zum Ausdruck kommt, würde ich als Uterusneid bezeichnen.“ Dahinter stehe die „Vorstellung, der Mensch sei eine Maschine, die man im Prinzip und in naher Zukunft verstehen und entschlüsseln könne, um sie dann entsprechend zu korrigieren und zu verbessern“.

Mit Gentechnik und Reproduktionsmedizin geschieht das heute, und ethische Grenzen brechen weg. So geht es in der ersten Folge der ARD-Serie „Sex and the Scientists – Wie wir künftig Kinder kriegen“ um den Versuch, aus zwei Zellen von männlichen Mäusen eine neue Maus zu „erschaffen“, durch Eingriffe in die DNA: „Diese neuen Techniken könnten in absehbarer Zukunft die Fortpflanzung vom Sex trennen, das Heranwachsen von Kindern vom Mutterleib, die Familie von der Vorstellung von Vater, Mutter, Kind. Vielleicht könnten sie eines Tages sogar Formen von Leben schaffen, wie sie die Evolution auf der Erde nicht hervorgebracht hat.“ Das kommt freundlich daher und erinnert doch sehr an die Menschenzucht in Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“

Mit Blick auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts warnte Weizenbaum, „dass die grausamsten Verbrechen möglich wurden, weil die Täter das Menschsein der Opfer leugneten. In der NS-Zeit stellte man Juden als Ungeziefer dar – eine Metapher, die den Massenmord legitimierte. Heute gewinnt, unterstützt durch die Autorität der Naturwissenschaften, die Vorstellung an Substanz und Macht, der Mensch sei lediglich eine informationsverarbeitende Maschine, die von einem Roboter ersetzt werden könne.“ Er sah schon damals voraus, dass mit dieser Vorstellung die Ehrfurcht vor dem Menschen vernichtet würde.

Trotz allem: Ermutigung

Um nicht allzu depressiv zu enden, hier noch drei Initiativen, die vielleicht ein wenig Zuversicht geben können.

„Straßenbahnen statt Panzer. Tod oder Leben – wofür arbeiten wir?“: Mit der zweiten „Aktionszeitung für eine Verkehrsindustrie mit Zukunft“ mobilisiert ein Initiator:innenkreis mit vielen Unterstützer:innen zu Aktionstagen, Demonstrationen, Versammlungen und Streiks – für eine klimagerechte Konversion statt Kriegstüchtigkeit und für die Vergesellschaftung der Großunternehmen.

Seit über 30 Jahren berät und unterstützt Connection e.V. Menschen, die den Kriegsdienst verweigern, und setzt sich politisch für deren Rechte ein. Der Verein macht Öffentlichkeitsarbeit mit der „Globalen Aktion #RefuseWar“ und fordert aktuell mit der „#ObjectWar-Kampagne“ Schutz und Asyl für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure aus Russland, Belarus und der Ukraine.

Für den 26. bis 28. September bereitet eine Gruppe von patriarchatskritischen Männern einen profeministischen Kongress in Berlin vor: „Uns verbindet einerseits die Sehnsucht nach Veränderung und andererseits die Unzufriedenheit darüber, wie wenig cis Männer sich feministischen Kämpfen anschließen und diese unterstützen. Wir haben viele Fragen, aber sind davon überzeugt, dass die Befreiung von Gewalt, Angst und Herrschaft nur im antipatriarchalen Miteinander möglich ist.“