Vor 30 Jahren wurde ein Text von mir im Raben Ralf veröffentlicht, in dem ich meine recht positive Sicht auf die Zukunft Russlands darlegte (Rabe Ralf März 1995, S. 20). Die Sowjetunion war gerade zusammengebrochen, und wir lebten in einem neuen Land namens „Unabhängiges Russland“. Niemand konnte damals wirklich verstehen, warum wir die Unabhängigkeit Russlands von der UdSSR feiern sollten, wie es von der Regierung verkündet wurde, denn Sowjetrussland war ja eigentlich das Zentrum eines Imperiums, das die anderen Sowjetrepubliken unterjochte.

Aber wir feierten den Zusammenbruch der Sowjetunion, die von einigen als „Gefängnis der Nationen“ bezeichnet wurde, und blickten größtenteils optimistisch in die Zukunft. Wir wollten ein neues, schönes, demokratisches und freies Land aufbauen, in dem niemand unglücklich ist.

Obwohl Russland Anfang der 1990er Jahre einen katastrophalen wirtschaftlichen Niedergang erlebte, hielten wir es für einen guten Zeitpunkt, um eine starke Umweltbewegung aufzubauen, die die Umweltzerstörung durch den gerade entstandenen wilden Kapitalismus verhindern konnte. Und das taten wir. Außerdem war die Umweltgesetzgebung damals recht fortschrittlich. Zwei Jahrzehnte lang konnte die Umweltbewegung tun, was zu tun war. Wenn man in den 1990er Jahren in Russland mutig genug war, radikale Protestkampagnen durchzuführen, hatte man gute Chancen, erfolgreich zu sein.

Erfolgreiche Jahre 

Ecodefense – die Umweltgruppe, die ich 1989 in Kaliningrad mitgegründet habe – wurde in den ersten zehn Jahren der Unabhängigkeit Russlands zu einer der aktivsten und erfolgreichsten Gruppen des Landes. Mit kreativen Protestmethoden haben wir etwa eine alte Zellstoff- und Papierfabrik daran gehindert, die Ostsee mit tödlichen Chemikalien zu verschmutzen.

Außerdem haben wir einen Plan zum Bau einer extrem gefährlichen Ölraffinerie in Kaliningrad gestoppt, die Lokalregierung dazu gezwungen, kein Schiff mit Uran in den örtlichen Hafen zu lassen, und wir haben uns an der Ausarbeitung des Gesetzes gegen Nukleartransporte durch das lokale Parlament beteiligt. Darüber hinaus haben wir viele Bäume gerettet und viele Lehrer und Schüler im Bereich der Umweltbildung geschult.

Ende der 1990er Jahre weitete Ecodefense seine Kampagnen über die Region Kaliningrad hinaus aus. 1998 starteten wir einen Protest gegen den angekündigten Uranabbau in der nördlichen Region Karelien. Auch hier waren wir erfolgreich.

Im selben Jahr startete Ecodefense seine erste internationale Kampagne – gegen den Import von bulgarischem Atommüll nach Russland. Zusammen mit unserer bulgarischen Partnerorganisation „Za Zemiata“ und moldauischen Aktivisten gelang es uns, genügend Druck auf das moldauische Parlament auszuüben, das die Transitgenehmigung für Atommüll von Bulgarien nach Russland aufhob. Das war ein großer Erfolg, auch deshalb, weil die Atomindustrie in Russland schon immer von der Regierung geschützt wurde.

Die 1990er Jahre waren eine tolle Zeit für Umweltkampagnen, der Widerstand der Regierung war schwach und die Unternehmen hatten ganz andere Sorgen. Für uns war es hilfreich, dass sich die russische Wirtschaft noch im Überlebensmodus befand.

Die Welt retten

Dabei verfügte Ecodefense während der gesamten 1990er Jahre über ein unglaublich geringes Budget, trotzdem waren wir der wahrscheinlich effektivste Umweltverband in Russland. Unser erstes Geld erhielten wir 1993 von einer gemeinnützigen Stiftung, etwa 3.000 Dollar. Um 1996 belief sich unser Budget auf etwa 7.000 Dollar. Die Gehälter waren so niedrig, dass man davon kaum überleben konnte. Wir hätten unseren Aktivisten gerne das Zehnfache gezahlt, aber wir hatten einfach nichts und wir nahmen kein Geld von der Regierung oder von Unternehmen an. Unser Erfolgsgeheimnis war ganz einfach: Wir hatten viele sehr junge und sehr kluge Leute, die die Welt retten wollten.

Da die russische Umweltbewegung immer älter wurde und hauptsächlich aus Menschen bestand, die zwischen 1988 und 1990 im mittleren Alter dazugekommen waren, war es eine äußerst wichtige Aufgabe, junge Menschen zu gewinnen und auszubilden.

Seit Ende der 1990er und während der 2000er Jahre bildete Ecodefense Hunderte von zukünftigen Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten in verschiedenen Städten Russlands aus. Einmal wurden wir von Kollegen aus Kasachstan angerufen, die uns baten, sie in Anti-Atomkraft-Kampagnen zu schulen. Ihre Regierung wollte ein Gesetz verabschieden, das den kommerziellen Import von Atommüll erlaubte. Ecodefense entwickelte ein einzigartiges Schulungsprogramm für Kasachstan, das zu einer starken lokalen Kampagne führte, und wenige Monate später errangen die Aktivisten einen Sieg – das Gesetz zum Import von Atommüll wurde gestoppt.

Leider reichten unsere Bemühungen bei Weitem nicht aus, um die russische Umweltbewegung mit so vielen Aktivisten zu versorgen wie nötig, aber es ist dennoch sehr erfreulich zu sehen, dass viele Menschen, die unsere Schulungen durchliefen, viel erreicht haben. Ecodefense hat das Maximum dessen getan, was möglich war. Doch die internationale Finanzierung für russische Gruppen durch gemeinnützige Stiftungen ging zurück, für viele begann eine Zeit des Überlebenskampfes.

Putin kommt an die Macht

Die Russen wählten im Jahr 2000 den ehemaligen KGB-Offizier Wladimir Putin zu ihrem neuen Präsidenten. Ich weiß nicht, ob ihn seine frühere Arbeit in Ostdeutschland zu seiner radikalen Haltung gegenüber zivilgesellschaftlichen Gruppen geführt hat. Aber es war von Anfang an klar, dass Putin Nichtregierungsorganisationen, die sich für Menschenrechte und den Schutz der Umwelt einsetzen, feindlich gegenüberstand.

An einer Gebäudewand hängt ein riesiges weißes Transparent mit der Aufschrift auf Russisch: Keine neuen Reaktoren.

Protest gegen neue Atomreaktoren 2003 in Jekaterinburg im Ural.

Foto: Ecodefense

Eine seiner ersten Amtshandlungen war die Auflösung des Umweltministeriums. Denn dieses bereitete Putins Freunden in der Großindustrie zu viel Ärger. Aus meiner Sicht verursachte es der Wirtschaft eigentlich keine Probleme, aber der KGB-Mann sah das anders. Bald darauf löste Putin auch die unabhängige Atomaufsichtsbehörde auf, die die Atomindustrie kontrollierte. Er entschied, dass es besser sei, wenn die Atomindustrie sich selbst kontrolliert.

Etwa ein Jahrzehnt später wird das japanische Atomkraftwerk Fukushima explodieren und tödliches Cäsium und Plutonium verbreiten. Einer der Gründe für diese Katastrophe wird mangelnde behördliche Kontrolle sein.

Die 2000er Jahre waren aber noch lange nicht so schlimm wie die heutige Zeit. Es war zwar klar, dass sich die Lage verschlechterte, aber immerhin nur sehr langsam. Im ganzen Land fanden zahlreiche Protestkampagnen statt. Aber man konnte den Geruch eines Wandels riechen, und er war widerlich. Putin erlaubte der russischen Atomindustrie, Atommüll zu importieren – 2001 verabschiedete das Staatsparlament ein Gesetz, das dies ermöglichte. Die landesweite Kampagne, die wir zusammen mit anderen Gruppen in ganz Russland organisierten, konnte dies nicht verhindern.

Dennoch haben wir etwas erreicht: Der Genehmigungsmechanismus für jeden Vertrag über den Import ausländischen Atommülls nach Russland wurde so verkompliziert, dass die Atomindustrie seitdem keinen einzigen neuen Vertrag mehr abschließen konnte. Außerdem wurde der Minister für Atomenergie wegen des Streits um den Atommüllimport entlassen.

Erfolge und Niederlagen

Mitte der 2000er führte Ecodefense eine Kampagne in einer kleinen Stadt in der Nähe von Kaliningrad durch, wo große fossile Brennstoffkonzerne den Bau von zwei Ölterminals vorgeschlagen hatten, um den internationalen Ölverkehr zu steigern. Neben zahlreichen Protesten umfasste diese Kampagne auch ein Referendum auf lokaler Ebene, bei dem die Einwohner mit Nein stimmten. Das führte dazu, dass das gesamte Ölterminal-Projekt gestrichen wurde.

Ebenfalls Mitte der 2000er Jahre zwang Putin das russische Parlament, eine Gesetzesänderung zu Referenden zu verabschieden. Dies reduzierte die Möglichkeit, Abstimmungen zu Umweltfragen auf regionaler Ebene zu organisieren, auf null. Theoretisch konnte man es zwar noch versuchen, aber in der Realität konnte über wichtige Themen auf regionaler Ebene nicht mehr abgestimmt werden.

Es gab in diesen Jahren auch viele Gesetzesänderungen, die die Arbeit von Umwelt- und Menschenrechtsgruppen erheblich erschwerten. Nicht nur NGOs litten darunter, auch die demokratischen Freiheiten für alle wurden Schritt für Schritt eingeschränkt.

Als Symbol für dieses Jahrzehnt kann man die Kampagne gegen den Gesetzentwurf zum Umgang mit radioaktiven Abfällen in Russland nennen: Im Jahr 2009 schlug die russische Atomindustrie dem Parlament ein neues Gesetz vor, das es erlaubte, flüssige radioaktive Abfälle an einem beliebigen Ort unterirdisch zu lagern. Ecodefense mobilisierte Menschen in fünf Regionen Russlands, um Protestbriefe an das Parlament zu schicken.

Nachdem zweitausend Briefe eingegangen waren, bekamen einige Abgeordnete Angst und bildeten eine Sonderkommission, in die sie Vertreter von Ecodefense und zwei weiteren Umweltgruppen aufnahmen. Das Ergebnis war durchwachsen – die Genehmigung zur Lagerung flüssiger radioaktiver Abfälle unter der Erde an beliebigen Orten in Russland wurde zwar zurückgezogen, aber die Atomindustrie durfte diese weiterhin in vier Anlagen lagern, in denen dies bereits zuvor geschehen war. 

Atomare Geostrategie

Im Jahr 2009 begann der Bau des Ostsee-Kernkraftwerks in der Nähe von Kaliningrad. Das war eines der ersten „geopolitischen“ Atomprojekte Putins. Die Idee im Kreml war, dass durch die Verbreitung russischer Kernreaktoren in möglichst vielen Ländern die Abhängigkeit von Russland wachsen würde. Sowohl wirtschaftliche als auch politische Abhängigkeit war das Ziel.

Die Idee ist recht simpel: Ein moderner Reaktor hat eine Betriebsdauer von 60 Jahren, die möglicherweise verlängert werden kann, dazu kommen 10 Jahre für den Bau und einige Jahrzehnte für die Stilllegung. Insgesamt wäre das über ein Jahrhundert. Während dieser ganzen Zeit besteht eine Abhängigkeit von russischer Technologie und Ingenieuren, von Mitarbeitern des Kernkraftwerks sowie vom Kernbrennstoff, den man in der Regel nur vom Lieferanten des Reaktors kaufen kann – es gibt hier keinen „freien Markt“.

Russland kann auch abgebrannte Brennelemente zurücknehmen – extrem tödliche nukleare Abfälle, die noch viele tausend Jahre lang gefährlich bleiben. Und selbst wenn ein Land beschließt, den Einsatz von Kernreaktoren zu beenden – woher sollte es so schnell so große Energiemengen nehmen, um die Kernenergie zu ersetzen, und wie viel würde das kosten? Nachdem man den Reaktor abgeschaltet hat, muss man viel Geld ausgeben, um ihn sicher zu halten. Und als letzten Nagel im Sarg bietet Russland einen Kredit mit niedrigem Zinssatz an, um die Kosten für den Bau seines Kernreaktors im Ausland zu decken. Kein anderes Land tut dies, da es extrem teuer ist.

Im Falle armer Länder ist eine so gewaltige Finanzierung – rund 10 Milliarden Euro kostet ein Kraftwerk mit zwei Blöcken – gar nicht anders möglich. Hier wird vielleicht schon deutlich, dass es nicht nur ums Geldverdienen geht, sondern um Einfluss oder vielmehr um eine sehr starke langfristige Abhängigkeit. So sehen ehemalige KGB-Mitarbeiter die Welt. Wie man so schön sagt: KGB-Leute können niemals ehemalige KGB-Leute sein.

Das Kernkraftwerk Kaliningrad wurde gebaut, um eine Abhängigkeit von russischen Energielieferungen im benachbarten Litauen und möglicherweise auch in Polen zu schaffen. Das russische Kaliningrad selbst hatte gar kein Energiedefizit, Litauen hingegen schon, nachdem es seine alten und gefährlichen Reaktoren vom Typ Tschernobyl stillgelegt hatte.

„Ausländische Agenten“

Ecodefense führte sowohl regional als auch international eine intensive Kampagne gegen das Kernkraftwerk. Ehrlich gesagt hielten wir es für nahezu unmöglich, das Kraftwerk zu verhindern. Innerhalb Russlands gab es keine Chance, es zu stoppen, aber auf internationaler Ebene gab es noch eine kleine Möglichkeit. Die russische Regierung mit ihrer Atomindustrie wollte, dass 50 Prozent der Mittel aus Europa kamen – von Banken und Energieversorgungsunternehmen. Das war der Weg, um sicherzustellen, dass die Nachbarländer russischen Atomstrom in das europäische Stromnetz einspeisen lassen – auch wenn Litauen und Polen sich vehement dagegen aussprechen würden.

Wladimir Sliwjak und Alexandra Korolewa von Ecodefense bei einer Anti-Atom-Protestaktion 2013 in Kaliningrad.

Foto: Alexej Milowanow/Ecodefense

Zusammen mit den Nichtregierungsorganisationen Urgewald aus Deutschland, ReCommon aus Italien und Les Amis de la Terre aus Frankreich schafften wir das Unmögliche: Alle europäischen Banken und Energieversorger, die von der russischen Atomindustrie angesprochen und um Investitionen gebeten wurden, sagten Nein. Das 12 Milliarden Euro teure AKW-Projekt wurde Mitte 2013 eingefroren und ist bis heute nur teilweise fertiggestellt.

Kurz nachdem alle Arbeiten am Standort des Kernkraftwerks in der Nähe von Kaliningrad eingestellt worden waren, kamen Mitarbeiter der Generalstaatsanwaltschaft und des Justizministeriums, um Ecodefense zu inspizieren. Im Sommer 2014 wurde Ecodefense nach einem neu verabschiedeten Gesetz in Russland zum „ausländischen Agenten“ erklärt (Rabe Ralf Oktober 2023, S. 13). Es war die erste Umweltorganisation, die in Russland zwangsweise in die Liste der „ausländischen Agenten“ aufgenommen wurde. Wir befanden uns dort in guter Gesellschaft mit den Menschenrechtsorganisationen Memorial, Public Verdict, Golos und anderen.

In den folgenden zehn Jahren wurde Ecodefense fast 20-mal vom Justizministerium wegen Verstößen gegen das Gesetz über ausländische Agenten verklagt, was zu einem Dutzend hoher Geldstrafen führte. Die Regierung fror unsere Bankkonten ein und leitete strafrechtliche Ermittlungen ein, weil Ecodefense die Geldstrafen nicht bezahlen konnte. Gegen meine Kollegin Alexandra Korolewa wurden fünf Strafverfahren eingeleitet, sodass sie aus Russland fliehen musste, um einer Inhaftierung zu entgehen.

Moderner Faschismus?

Zehn Jahre später, im Sommer 2024, entschied ein russisches Gericht, „die Aktivitäten von Ecodefense zu verbieten“ und „Ecodefense zu liquidieren“. Bevor es dazu kam, konnten wir noch südafrikanischen Aktivisten dabei helfen, russische Kernreaktoren im Wert von 100 Milliarden Dollar zu stoppen. Wir gewannen auch ein Gerichtsverfahren gegen ein russisches Kohleunternehmen, wodurch ein wunderschöner See und ein Wald inmitten Sibiriens gerettet wurden.

Obwohl sich dieser Artikel stark auf Nuklearfragen konzentriert, wäre es sehr ungerecht, wenn ich die anderen schönen Dinge, die die Leute von Ecodefense getan haben, nicht erwähnen würde. Wir haben uns stark gegen die Kohleindustrie in Russland engagiert. Ecodefense ist die einzige russische Umweltorganisation, die eine Studie über die langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen und Umweltschäden durch den jahrzehntelangen massiven Kohleabbau im Kusbass, Russlands wichtigster Kohleregion, erarbeitet hat. Ein Teil davon wurde in eine Studie zur Energiewende aufgenommen, die für den russischen Präsidenten erstellt wurde.

Wir haben die russischen Behörden nachdrücklich dazu gedrängt, die extrem gefährdete Ostseeküste im Nationalpark Kurische Nehrung, einem Unesco-Welterbe, zu retten. Tausende von Lehrern und Schülern nahmen an unseren Bildungsprogrammen teil, Dutzende von Berichten, Büchern und Zeitschriften wurden veröffentlicht, Hunderte Protestaktionen und andere Veranstaltungen organisiert. All dies wurde von einer relativ kleinen Gruppe von Menschen mit minimalen finanziellen Mitteln, aber mit der Unterstützung vieler Freiwilliger in den letzten 35 Jahren geleistet. Ich finde das beeindruckend.

Im April dieses Jahres  wurde ich persönlich zum „ausländischen Agenten“ in Russland erklärt. Nach russischem Recht dürfen sogenannte ausländische Agenten an keinerlei Bildungsaktivitäten teilnehmen – weder in Russland noch im Ausland –, keiner politischen Organisation angehören und nicht für eine staatliche Einrichtung arbeiten, um nur einiges zu nennen. Wenn diese „ausländischen Agenten“ Eigentum in Russland haben, dürfen sie es nicht verkaufen oder vermieten (und wenn sie es doch tun, nimmt sich die Regierung das gesamte Geld). Wenn gegen einen „ausländischen Agenten“, der Eigentum besitzt, strafrechtlich ermittelt wird, kann dieses vom Staat beschlagnahmt werden.

Wenn ein „ausländischer Agent“ schweigt und aufhört, die russische Regierung und ihren Krieg in der Ukraine zu kritisieren, gibt es vielleicht keine neuen Strafverfahren. Aber es gibt keine Garantien. Tatsächlich besteht keine Möglichkeit, das Label „ausländischer Agent“ wieder loszuwerden.

Einfach gesagt: Das Ganze wurde geschaffen, um diejenigen zum Schweigen zu bringen, die sich gegen Maßnahmen der Behörden aussprechen. Die Regierung ist bereit, diesen Menschen alles wegzunehmen und sie ins Gefängnis zu stecken, nur weil sie Kritik geäußert haben. Und das ist bereits vielen Menschen widerfahren. Ist das moderner Faschismus? Meiner Meinung nach ja.

Eine Zukunft für Russland

Vor drei Jahrzehnten habe ich im Raben Ralf meine recht positive Sicht auf die Zukunft Russlands dargelegt. Wenn ich nun aus der Perspektive des Jahres 2025 zurückblicke, erscheint mir die Lage in meiner Heimat eher katastrophal. Alle demokratischen Freiheiten sind außer Kraft gesetzt, ein ehemaliger KGB-Offizier ist seit mehr als einem Vierteljahrhundert an der Macht und hat zusammen mit seinen Freunden aus den Geheimdiensten erfolgreich eine solide Diktatur aufgebaut. Niemand hat eine realistische Vorstellung davon, wie man sie loswerden könnte.

Zivilgesellschaftliche Gruppen wurden zum Aufhören und Kritiker zum Auswandern gezwungen. Es gibt Tausende von politischen Gefangenen, deren einziges Verbrechen darin bestand, dass sie in einem Facebook-Post oder einem Zeitungsartikel ihre Opposition gegen die Regierung zum Ausdruck gebracht haben. Russland hat einen unprovozierten Krieg gegen seinen nächsten Nachbarn begonnen, den blutigsten in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg.

Nein, so etwas hätte ich mir vor 30 Jahren nicht vorstellen können. Meine Vorstellungskraft war bei Weitem nicht in der Lage, so etwas vorherzusagen. Alles, was schiefgehen konnte, ist für Russland schiefgegangen.

Jetzt lebe ich im Exil, weil das der einzige Weg war, nicht in einem russischen Gefängnis zu landen und meine Arbeit für den Frieden und die Umwelt fortzusetzen, die immer im Mittelpunkt meines Lebens stand. Da Ecodefense in Russland verboten ist, arbeitet die Organisation nun im Exil weiter. Ich kann immer noch nicht vorhersagen, was in absehbarer Zukunft mit Russland (oder mir) passieren wird. Mein Heimatland war aufgrund seiner Geschichte immer unberechenbar. Alles kann jederzeit passieren. Ich würde gerne eines Tages zurückkehren, aber ich weiß nicht, ob dieser Tag jemals kommen wird.

Illustration: Ein blauer Panzer mit abgebrochener Kanone wird von Blumen überwuchert.

Illustration: Marlena Wessollek

Also keine Vorhersagen mehr, aber hier ist, woran ich glaube: Диктатура падет. Die Diktatur wird fallen. Das war bisher immer so, aber die Menschen vergessen das gerne. Der Krieg wird eines Tages vorbei sein. Ich weiß nicht, wann, aber ich wünsche mir, dass die russischen Besatzer die Ukraine verlassen, bevor Sie diesen Artikel lesen. Putin sagt, Russland müsse Krieg in der Ukraine führen, um zu überleben. Nun, wenn Imperien Krieg führen, um sich selbst zu „retten“, sterben sie trotzdem. Russland wird auf die eine oder andere Weise leiden, die Frage ist nur, wie lange.

Ich glaube, dass es den Tag geben wird, an dem Russland zu demokratischen Freiheiten zurückkehrt und die Exil-Russen heimkehren, zumindest ein Teil von ihnen. Ich bin gespannt, ob ich diesen Tag erlebe. 

Der Autor ist Co-Vorsitzender der russischen Umweltgruppe „Ecodefense“ und Preisträger des alternativen Nobelpreises.

Mehr Infos (russisch): ecodefense.ru