So deutlich wie die Berliner Regierungspartei CDU setzt niemand auf das Auto. Im europäischen Alleingang wird Berlin seit der Wiederholungswahl im Februar 2023 Schritt für Schritt autozentriert zurückentwickelt.

Erst wurden nahezu alle Radwegeprojekte gestoppt. Darauf folgten acht von neun Radschnellverbindungen, die „qualifiziert abgeschlossen“ – sprich: beendet werden. Tempo-30-Bereiche sollen wieder Tempo-50-Bereiche werden. Es werden keine Busspuren mehr angeordnet, Tramprojekte werden nicht weiterverfolgt. Und generell gilt die Devise: Parkplätze sind unantastbar. Darum sind U-Bahn-Projekte das heiße Ding – sie stören den Autoverkehr am wenigsten und sind frühestens in 20 Jahren fertig.

Währenddessen werden die Tangentialverbindung Ost (TVO) durch die Wuhlheide und der Schlangenbader Tunnel in Wilmersdorf weiterverfolgt. Ein klares Bekenntnis zum Weiterbau der Stadtautobahn A100 darf hier konsequenterweise nicht fehlen.

Autopolitik

Mit diesen Vorhaben hängt sich die Senatsverwaltung ein gewaltiges Problem an den Hals. In Zeiten finanzieller Engpässe im Haushalt ist es natürlich schwierig, ausgerechnet an den teuersten Projekten festzuhalten. Aber dann muss man eben 93 Prozent der Radverkehrs-Investitionen wegkürzen, die Mittel für den Fußverkehr ab 2026 halbieren und 244 Millionen Euro weniger in den ÖPNV investieren. Dann kann man sich den Luxus der TVO (rund 400 Millionen) und des Schlangenbader Tunnels (40 Millionen) weiterhin leisten.

All das verkauft die Berliner Landesregierung mit ihren wechselnden CDU-Verkehrssenatorinnen als „Miteinander“. Denn das klingt besser als „Klientelpolitik fürs Auto“. Dass die CDU dabei wissenschaftlichen Unsinn verbreitet, bleibt im Verborgenen. Sie behauptet, das Leben der Autofahrenden zu erleichtern, aber de facto führt die einseitige Autopolitik nur zu mehr Verkehr und mehr Stau. Sie missachtet, dass kein Mensch nur Auto fährt. Sie sagt Mobilität und meint Autoverkehr – das ignoriert die Wirklichkeit der meisten Menschen.

Wer wirklich Politik für Autofahrende machen will, sollte sich mit Verkehrsplanung beschäftigen. In der Forschung spricht man von Verkehrsinduktion und Verkehrsverpuffung.

Wie Verkehr induziert wird

Wenn man bestimmte Verkehrswege ausbaut und das Angebot verbessert, führt dies zu zusätzlichem Verkehr. Das gilt für Autowege genauso wie für Fuß- und Radwege. Oft wird das kurz auf den Punkt gebracht: „Wer Straßen sät, erntet (Auto-)Verkehr“. Es könnte aber auch heißen: „Wer Schienen baut, erntet Passagiere“.

Die Forschung zeigt, dass das Mobilitätsangebot maßgeblich über unser Verhalten entscheidet. Gibt es gute, sichere, schöne Fußwege, findet eine Verlagerung zugunsten des Fußverkehrs statt: Es wird öfter und weiter gelaufen. Es werden Wege gegangen, die vorher nicht zu Fuß zurückgelegt wurden. Fußverkehr wird induziert.

Wie Verkehr verpufft

Das Gegenteil davon ist die Verkehrsverpuffung (von englisch „traffic evaporation“). Wird der Radverkehr eingeschränkt, fahren Radler*innen andere Strecken oder weichen auf andere Verkehrsmittel aus. Mit der Zeit verschwindet ein Teil des Radverkehrs. Dieses Prinzip der „Verpuffung“ oder besser Verflüchtigung gilt aber auch für den Autoverkehr.

Wegen dieser beiden Effekte lässt sich Mobilität durch Verkehrsplanung lenken. Wenn die Senatsverwaltung jetzt Politik für Autofahrende machen will, müsste sie nicht auf Verkehrsinduktion, sondern auf Verkehrsverpuffung setzen. Wer diejenigen unterstützen will, die wirklich auf das Auto angewiesen sind, sollte Mobilität so organisieren, dass möglichst viele vom Auto auf andere Verkehrsmittel umsteigen können. So wird Platz auf den Straßen frei.

Eine Förderung des Autoverkehrs hingegen sorgt für mehr Staus und Verkehrsbehinderungen. Der Alltag belegt das: Rund 40 Prozent der mit dem Auto zurückgelegten Wege sind unter fünf Kilometer lang. Ein gut getakteter öffentlicher Nahverkehr oder das Fahrrad sind hier die besseren Alternativen.

Mehr Autos, die länger stehen

Statt aber Verkehr konsequent zu verlagern, setzt der Senat auf Induktion, also Erzeugung, von Autoverkehr. Der paradoxe Effekt: Es gab in Berlin noch nie so viele Autos wie jetzt – gleichzeitig wird deutlich weniger Auto gefahren. Die sogenannte Verkehrsleistung geht seit der Corona-Pandemie zurück, bisher um 16 bis 20 Prozent je nach Quelle. Das Auto ist in der Stadt zur Mobilitätsreserve geworden: Es wird häufiger gekauft, aber seltener gefahren. Die Berliner*innen nutzen im Alltag die öffentlichen Verkehrsmittel oder das Fahrrad, wollen aber nicht auf einen eigenen Pkw verzichten, obwohl sie ihn weniger nutzen.

Wir haben also komplizierte Verhältnisse in der Stadt: Mehr Autos, die meist herumstehen, und eine Politik, die alles dafür tut, dass mehr Menschen häufiger mit dem Auto fahren.

Wer diejenigen unterstützen will, die wirklich auf das Auto angewiesen sind, sollte Mobilität so organisieren, dass möglichst viele vom Auto auf andere Verkehrsmittel umsteigen können.

Nun stellt sich die Frage: Was will die CDU mit ihrer Politik bewirken? Außer „mehr fahrende Autos“ ist kein Ziel erkennbar. Klimaneutralität lässt sich so nicht erreichen, mehr Verkehrssicherheit auch nicht. Langfristig ökonomisch sinnvolle Mobilität für alle ist auch nicht das Ziel. Denn Automobilität ist die teuerste Form der Alltagsmobilität und kostet die Allgemeinheit zusätzlich etwa 5.000 Euro pro Jahr und Auto.

Vielleicht ist das Ziel der CDU nur ihr Wahlkampf-Slogan: „Berlin, lass dir das Auto nicht verbieten“. Die Menschen sollen ihre Autos behalten – egal, ob sie sie nutzen oder nicht. Da ist es nebensächlich, dass von den 55 Verkehrstoten des Jahres 2024 ein Großteil der Autogewalt zum Opfer fiel. Da ist der Klimawandel genauso nebensächlich wie die Tatsache, dass nur ein Viertel der Wege in Berlin mit dem Auto zurückgelegt wird. Für so etwas interessiert sich die CDU nicht.

Alte Privilegien und eine fossile Ordnung sollen aufrechterhalten werden. Es soll sich so wenig wie möglich ändern. Willkommen im Stau.

Mehr Infos: changing-cities.org

Die Autorin engagiert sich seit 2018 beim Berliner Verein Changing Cities, der bundesweit lokale Initiativen für lebenswerte Städte berät und begleitet.