Es sind finstere Zeiten für den Klimaschutz, gerade jetzt, wo sich die Klimakatastrophe dramatisch zuspitzt. Die Stimmen der Vernunft sind leiser geworden oder sogar verstummt wie Papst Franziskus. Dafür sind die Stimmen der egoistischen Machtpolitik lauter und schriller geworden. Jeder meint im Recht zu sein und will für sich und sein Land immer mehr – notfalls mit Gewalt. Dabei wissen wir längst, dass wir das Klima- und Erdsystem lebensbedrohlich überlasten. Weniger ist mehr – und inzwischen auch der einzige Ausweg aus der Vielfachkrise.
Wenn die Länder der Welt im November im brasilianischen Belém zur nunmehr 30. UN-Klimakonferenz zusammenkommen, ist zu befürchten, dass wieder egoistische Machtpolitik das Geschehen bestimmen wird und nicht das übergeordnete Überlebensinteresse der Menschheit. Denn ums Überleben geht es inzwischen unübersehbar, angesichts der sich beschleunigenden Klimakatastrophe, die nach Angaben von Wissenschaftlern inzwischen die Worst-Case-Szenarien früherer Klimamodelle übertrifft.
Ausgerechnet jetzt kehrt der alte fossile, sich militarisierende Kapitalismus an die Macht zurück. Aus dem „Green Deal“ wird ein olivgrüner Deal, angesichts der Klimakatastrophe ein wahrhaft absurder Anachronismus. Statt Wachstum durch Klimaschutz – so unvollkommen das war – geht es jetzt um Wachstum durch Aufrüstung, Kriegsvorbereitung, Subventionierung von Großkonzernen und Sozialabbau. Ein Rückfall, der aber auch Illusionen über den Charakter des Kapitalismus und seine Reformfähigkeit ausräumt. In der Tat: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“ (Bertolt Brecht) – was die Dringlichkeit einer Reformalternative und eines breiten progressiven Bündnisses verdeutlicht.
Paris-Abkommen gescheitert
Die Einschläge der Klimakrise kommen derweil näher. Der Mittelmeerraum war in diesem Sommer erneut von brütender Hitze mit 40, teils 45 Grad Celsius, Dürre und verheerenden Bränden betroffen. Spanien erlebte bei über 40 Grad beispiellose Waldbrände, bei denen an einem Tag so viel Wald verbrannte wie im ganzen vorigen Jahr, die Regierung musste den Notstand ausrufen. In Deutschland scheinen Unwetter, Gewitter, Temperatursprünge, Starkregen, Hagel die neue Normalität im Wetter-Jo-Jo unterschiedlicher Luftmassen zu sein. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich auch bei uns wieder eine „Große Hitze“ oder ein „Großer Regen“ ereignen werden.
Zehn Jahre nach Unterzeichnung des völkerrechtlich verbindlichen, aber zahnlosen Pariser Klimaabkommens muss man offen sagen, dass der Vertrag in seiner bisherigen Form gescheitert ist. Eigentlich macht jeder, was er will. Der Traum vom ewigen Wachstum bestimmt weiter die Politik – man sorgt sich mehr um die Abkühlung der Konjunktur als um die eskalierende Aufheizung der Erde. Es steht zu befürchten, dass sich daran beim Gipfel in Brasilien nicht grundlegend etwas ändern wird.
Gemahnt und gewarnt wurde immer wieder vor der drohenden Katastrophe, auch an dieser Stelle, doch leichtfertig wurden die Hinweise auf die Gefahren als Panikmache abgetan und zweckoptimistischem Weiter-so-Wunschdenken untergeordnet. Auch Reformvorschläge gab es viele, aber sie wurden meist mit den Keulen „Konkurrenzzwang“ und „Arbeitsplatzerhaltung“ abgewehrt.
Dieser Text soll deshalb auch ein Plädoyer sein, „alle Verhältnisse umzuwerfen“, die die Gerechtigkeit, das Leben auf der Erde und das Überleben der Menschheit bedrohen. Vernunft oder Barbarei, das ist tatsächlich die Frage, vor der wir heute alle stehen. Es rettet uns „kein höh'res Wesen“, sondern nur ein gemeinsamer demokratischer Aufbruch, der den Brandstiftern und Handlangern des Kapitals das Handwerk legt. Es braucht endlich ein „Bündnis für das Leben“ (Rabe Ralf Februar 2025, S. 10), sonst fliegt uns nicht nur das Klima, sondern auch die Demokratie um die Ohren.
Erderwärmung außer Kontrolle
Man braucht keinen Supercomputer, ja nicht einmal einen Taschenrechner, um auszurechnen, wie dramatisch die klimatischen Entwicklungen sind und wohin die Reise geht. 2001 erschien der Dritte Sachstandsbericht des Weltklimarates IPPC. Darin wurde festgestellt, dass sich die globale Mitteltemperatur in den vergangenen 140 Jahren um 0,6 Grad erhöht hatte.
2025 sind bereits 1,6 Grad erreicht. Das ist eine enorme Beschleunigung der Aufheizung der Erde. Ein Grad mehr in nur 25 Jahren bedeutet, dass wir 2050 bereits 2,6 Grad erreicht haben könnten und bis zum Ende des Jahrhunderts möglicherweise 4,6 Grad. Dabei reichen die heutigen 1,6 Grad offensichtlich schon aus, um das Klimasystem grundlegend zu destabilisieren, wie wir es gerade erleben.
Nicht umsonst wurde vor zehn Jahren in Paris das 1,5-Grad-Ziel beschlossen. Kritiker wie der Energiewende-Vordenker Wolf von Fabeck wiesen damals allerdings darauf hin, dass die Risiken schon bei einem Grad Erwärmung kaum kalkulierbar seien. Mittlerweile sind wir dort angekommen, wo wir niemals hinwollten, nämlich bei 1,6 Grad, und in der Tat zeigen die plötzliche starke Erwärmung der Ozeane und die weltweit eskalierenden Waldbrände, dass überraschende Systemveränderungen im Gange sind.
Führende Wissenschaftler wie Hans Joachim Schellnhuber und Johan Rockström vom Potsdam-Institut forderten 2022 vom Weltklimarat, einen Sonderbericht zu möglichen katastrophalen Klimaänderungen vorzulegen: „Sich auf eine Zukunft mit beschleunigtem Klimawandel einzulassen und dabei die schlimmsten Szenarien zu missachten, ist naives Risikomanagement und schlimmstenfalls tödlich dumm.“
Selbstverstärkende Waldbrände
Kenntnisreich und vorausschauend hat der jüngst verstorbene, von mir sehr geschätzte Wolf von Fabeck schon 2018 angesichts der mehrmonatigen Hitze- und Dürreperiode vorgeschlagen, die zunehmenden Waldbrände als Kipppunkt im Klimasystem zu betrachten:
„Auch ein borealer Wald kann schließlich austrocknen. Gerät er dann in Brand, dann werden Hunderttausende von Tonnen Holz in CO2 umgewandelt und erhöhen wie bei jedem Waldbrand die CO2-Konzentration der Atmosphäre. Außerdem bleiben in dem brennenden Waldgebiet keine grünen Blätter oder Nadeln zurück, die mit Photosynthese noch CO2 aus der Atmosphäre holen könnten. Der CO2-Abbau wird verlangsamt, der CO2-Anstieg wird beschleunigt, die Temperaturen steigen weiter, noch mehr Wälder trocknen aus und drohen in Brand zu geraten.
Eine typische ‚Mitkopplungs-Situation‘: Je heißer es wird, desto mehr Wälder trocknen aus und geraten in Brand und umso mehr Wälder erleiden das gleiche Schicksal und beteiligen sich an der allgemeinen CO2- und Temperaturzunahme. Bereits jetzt schon haben also – was die weltweiten Waldbrände anbelangt – selbstverstärkende Effekte eingesetzt, die man erst bei höheren Temperaturen erwartet hatte.“
Besser kann man es kaum beschreiben.
Postfaktische Machtpolitik
Während die Wirtschaften wachsen, schwinden die natürlichen Lebensgrundlagen. Etwas, wovon Berufspolitiker und Geldjongleure üblicherweise nicht die geringste Ahnung haben. Nicht nur der „Wahnsinn regiert“ (Rabe Ralf Juni 2025, S. 18), sondern ebenso die Dummheit.
Auch Deutschland schürt die Glut der Katastrophe und beschäftigt sich damit, wie Autoverkauf und Wirtschaftswachstum wieder anzukurbeln sind. Doch die Fortführung der verblendeten fossil-automobilen Wachstumspolitik, ergänzt durch Aufrüstung und Kriegsvorbereitung, ist kein Zukunftsprojekt, sondern führt in eine Richtung, die schon zweimal in der Katastrophe endete – eine irreversible Klimakatastrophe kommt dann noch obendrauf.
Diese existenzielle Bedrohung wird ignoriert und wirkungsvoller Klimaschutz wird vertagt. Das ist eine gewaltige Hypothek zu Lasten der kommenden Generationen, die schnell wächst und nicht mehr zu tilgen sein wird. Wenn die Wälder jetzt schon in Flammen aufgehen und die Ozeane versauern, wie soll das jemals rückgängig gemacht werden?
Wenn die Klimaignoranz Deutschlands und anderer Staaten nicht endet, wird sie einmal als historisches Verbrechen betrachtet werden, wodurch das Überleben der Menschheit gefährdet und das Tor in die Barbarei geöffnet wurde. Die Menschheit muss sich endlich aus den Zwängen der Vergangenheit und dem eisernen Griff des fossil-mobil-monetär-militaristischen Machtkomplexes befreien, wenn sie eine Zukunft haben will.
Die Klimarevolution von 2018 scheint tot zu sein und harrt der Wiederbelebung. Wenn wir aber heute den Kopf in den Sand stecken, müssen wir uns nicht wundern, wenn wir – um es mal drastisch zu sagen – morgen mit den Zähnen knirschen und der Arsch brennt.
Der Autor war 1989 Mitbegründer des Neuen Forums in Leipzig und hat zahlreiche Artikel zu Klima und Klimapolitik veröffentlicht.